Von Wirtschaft und Moral

Bertolt Brecht wollte eine theatrale Form für das Treiben an der Börse der 1920er-Jahre finden - entstanden ist "Die heilige Johanna der Schlachthöfe". Dušan David Pařízek inszeniert dieses Stück nun für das Berliner Ensemble. In der Audioeinführung erfahren Sie mehr über die Hintergründe und die Inszenierung.

Karolin Trachte und Inke Johannsen | 07.03.25

© Birgit Hupfeld

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Am Fleischmarkt Chicagos tobt eine Preisschlacht, Fabriken werden geschlossen, Arbeiter entlassen. Johanna Dark gehört einer Gruppe der Heilsarmee an, die sich die "Schwarzen Strohhüte" nennt und sich für die Arbeitslosen einsetzt. Johanna versucht, die wirtschaftlichen Vorgänge zu durchdringen und glaubt an die Möglichkeit einer vernünftigen Einigung zwischen Fabrikanten und Arbeiterschaft. Aus der Preisschlacht entwickelt sich eine Wirtschaftskrise, die auch wegen des großen Elends und der Arbeitslosigkeit an das Jahr 1929 denken lässt. Die "Fleischkönigin" Mauler, hier gespielt von Stefanie Reinsperger als Frau Mauler, navigiert sich mit riskanten aber letztlich geschickten Geschäften durch diese Krise hindurch, schlägt sogar Profit aus ihr. Und Johanna vermittelt vergeblich. Sie begreift immer mehr, wie die Verhältnisse sind und wie die Geschäfte gelenkt werden. Sie wendet sich schließlich an die Arbeiterführer, die einen Generalstreik planen. Als dieser jedoch wegen Johanna scheitert, wird sie wider Willen zur Gallionsfigur des Kapitals: Als "Heilige Johanna der Schlachthöfe" spannen die Packer und Viehzüchter sie am Ende vor den Karren ihrer vermeintlich philanthropischen Selbstrettung. Die wirtschaftlichen Vorgänge im Stück sind handlungstreibend und umfassend beschrieben, wirken aber schwer durchschaubar. Mit der Zeit wird deutlich, dass wohl jemand seinen Vorteil daraus zieht, sie so erscheinen zu lassen: die Kapitalist:innen nämlich befördern (und subventionieren) die Vorstellung, dass Marktgesetze "wie Naturgesetze" über allem stehen, dass "das Unglück kommt wie der Regen". Sie predigen mit gekauften Agitatoren dagegen an, dass die Welt als durchschaubar und somit veränderbar begriffen wird.
Undurchsichtig hingegen sind wie oft bei Brechts Ausbeuterfiguren die Motive der Frau Mauler: Kann sie wirklich das Blöken der Ochsen in ihrem Schlachthaus nicht mehr hören und wünscht sich, ein guter Mensch zu werden? Obwohl sie zugleich Insider-Tipps der ominösen "Freunde aus New York" äußerst taktisch umsetzt? Und welche Rolle spielt die Angst vor dem Aufstand der Massen, vor der Revolution gegen das kapitalistische System? Die amerikanische Autorin Ayn Rand machte in ihren Romanen und in ihrer Philosophie einen unregulierten Kapitalismus und radikalen Egoismus stark. So auch in ihrem 1957 erschienen Roman Atlas Shrugged, aus dem ein Ausschnitt in diese Inszenierung eingeflossen ist. Der Titel spielt auf den Unternehmer als modernen Helden an. Und so ähnlich sieht auch Mauler sich als Atlas, der die Welt – und damit die Verantwortung – auf seinen unternehmerischen Schultern trägt. Brecht schrieb über sein Stück, es solle "die heutige Entwicklungsstufe des faustischen Menschen zeigen" und spielt damit nicht nur auf Johannas Erkenntnissuche und auf ihren teuflischen Gegenspieler an. Das Zitat verweist vielmehr auch auf die Möglichkeit, dass diejenige, welche stets das Gute will, womöglich stets das Böse schafft.