Baal

von Bertolt Brecht
in einer Fassung von Clara Topic-Matutin
Bertolt-Brecht-Platz 1
10117 Berlin
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Bertolt Brechts expressive Bühnenballade Baal erzählt vom Leben eines Künstlers – irrlichternd zwischen Genie und Wahnsinn. Benannt ist sie nach dem syrischen Fruchtbarkeitsgott, dessen Abbild in der Augsburger Dachkammer des frühreifen Stückeschreibers über dem Bett hing. Von panischem Glücksverlangen besessen, lebt Baal ein Leben, ganz im Zeichen der Kunst, das zwischen Rausch und Absturz wenig (Zwischen-)Menschlichem Raum lässt. Verhalten und Lebensweg Baals verstoßen gegen die moralischen und sozialen Normen seiner Zeit – und nicht nur dieser. Ersan Mondtag setzt sich in seiner Interpretation mit der Frage nach unserem kleinsten gemeinsamen Nenner auseinander, nach Respekt und Solidarität – und nach der Möglichkeit und Notwendigkeit einer Begegnung auf Augenhöhe von Mensch zu Mensch.

Der Bühnenfassung von "Baal" in der Inszenierung von Ersan Mondtag liegen die vier Fassungen zu Grunde, die beim Suhrkamp Verlag erschienen sind: Die erste Fassung von 1918, die zweite Fassung von 1919 (beide entstanden in Augsburg), die Berliner Bühnenfassung von 1926 und die letzte Fassung des Stückes von 1955. Die Brecht-Erbinnen haben freundlicherweise die Erlaubnis erteilt, für unsere Interpretation des Stoffes, für diese neue Aufführung am Theater Brechts mit Teilen aller vier Fassungen zu arbeiten.

Die Verschneidung der vier Fassungen ist ein Versuch, der Figur Baal und damit auch dem Menschen Brecht näher zu kommen. Baal hat Brecht zu Lebzeiten nicht losgelassen; er hatte – so scheint es – ein geradezu unerlöstes Verhältnis zu dem Stück und seinem Protagonisten. Hier sprechen die zahlreichen, teils sehr unterschiedlichen Fassungen und auch Brechts Notate zum Stück Bände. In diesem Programmheft finden Sie Auszüge der Notate und einen Aufsatz zu den Fassungen.

Uns war es ein Anliegen – auch durch die Besetzung mit Stefanie Reinsperger – die menschlichen Seiten Baals, die Not, die dem Abgründigen gegenübersteht, auszuloten und damit einen komplexen Blick auf diese Figur zu werfen. Baal ist zwar „ein asozialer Mensch in einer asozialen Gesellschaft“ (Bertolt Brecht), aber dennoch ist er mehr als „das Vieh, der fette Kloß, das Untier“ als das er gerne interpretiert wird. Eine wichtige Rolle spielt in unserer Fassung außerdem – in den vorliegenden Fassungen Brechts mit unterschiedlichem Gewicht ebenfalls angelegt – die Rolle „der Gesellschaft“, die Baal umgibt.

Die fünf großen Gesellschaftsbilder, die von Brecht in unterschiedliche Milieus geschrieben und dabei im Duktus und Ton dennoch sehr ähnlich sind, bilden ein wichtiges Fundament für den ersten Teil des Stückes, die Inszenierung von Ersan Mondtag und damit die Entwicklung, den Lebenslauf des Mannes Baal in dieser Aufführung. Brecht hat in diesen Szenen gesellschaftliche Mechanismen grotesk, aber mit großer Schärfe festgehalten – Hysterien aller Art von Katzbuckelei vor der Macht, über die Lobpreisung „des Genies“, das dann so schnell wie hochgelobt auch schon wieder fallengelassen wird, bis hin zu populistischen Tiraden, die sich im Ton mühelos im Hier und Jetzt aktueller Politik wiederfinden.

„In der Figur des Baal verkörpert sich durch alle Fassungen und trotz allen Änderungen und Abschwächungen das wuchernde, strotzende, brutale und das dennoch herrlich berauschende Leben, in dem auch die Kunst nicht das Ergebnis gesellschaftlicher Konstellationen ist, sondern ein naturhaftes Ereignis wie Zeugung und Geburt.“ – schreibt Dietmar Schmidt in seinem Buch Baal und der junge Brecht. Doch das Stück, der Antrieb der Figur Baal ist zugleich morbide konnotiert. Baals Lebenswut geht Hand in Hand mit der Ahnung eines herannahenden Todes. Er ist ein Leidender, geistig leidend an der Welt, einer Gesellschaft, in die er nicht passt und einem Körper, der ihn quält.

„Du bist mein einziger Trost, Lethe, aber ich darf noch nicht. Du spiegelst seit Tagen mein Papier und bist unberührt. Ich schone uns, aber dies Herz will nicht singen aus mir, und die Brust ist verschleimt. Ich bin zur Qual geboren, und ich habe keine Ruhe. Blut füllt mir die Augen, und meine Hände zittern wie Laub. Ich will etwas gebären! Ich muss etwas gebären! Mein Herz schlägt ganz schnell und matt. Aber mitunter dumpf wie ein Pferdefuß, Du weißt! [...] Warum wird dieses Werk nicht fertig, dieses gottgewollte, verfluchte, selige, gefräßige!“

Weiß man, dass Brecht zeitlebens an Herzproblemen und weiteren damit einhergehenden körperlichen Beschwerden litt, verschmelzen in dieser Passage Schöpfer und Protagonist augenfällig. Baal stirbt schlussendlich vereinsamt und ausgebrannt. Nachdem er Leben und Menschen verschlungen und verschleudert hat, holt ihn der Tod im Wald unter Fremden. Brecht starb im Alter von nur 58 Jahren an einem Herzinfarkt und hinterließ ein Werk, das bis heute eine erstaunliche Aktualität besitzt. Er hat Vorschläge gemacht. Wir haben sie angenommen.

Von Clara Topic-Matutin

Pressestimmen

"Dieser 'Baal' ist ein Triumph für Stefanie Reinsperger."Berliner Morgenpost

"Die grandiose Stefanie Reinsperger gibt diesem 'Urtier' Baal (…) die Gnade der virtuos gebrochenen Perspektive. Ist Baal schon bei Brecht nicht mehr zu bremsen, so ist er in ihrer raffiniert-rabiaten Darstellung gar nicht mehr zu fassen: Eine phänomenale Leistung über die Geschlechtergrenzen hinweg."Frankfurter Allgemeine Zeitung

"The savage, weird and unpredictable show delivers a sustained dramatic jolt, thanks largely to Stefanie Reinsperger’s thrilling — and terrifying — turn in the title role."New York Times

"Das beste Bühnen-Scheusal, das derzeit zu haben ist: Stefanie Reinsperger spielt den 'Baal' in der Inszenierung des Grusel-Experten Ersan Mondtag am Berliner Ensemble."Süddeutsche Zeitung

"Baals Elend, sein Ausscheiden aus der Gesellschaft wird hier mit konsequenter Künstlichkeit und Vieldeutigkeit in die Magengrube der Zuschauer geschlagen. 'Nichts versteht man. Aber manches fühlt man', sagt Baal. Und wie!"RBB 24

"Ein Caligari-Kabinett hat Ersan Mondtag hier errichtet und wie im berühmten Filmvorbild gelingt es dem bilderstarken Regisseur, die Raumwirkungen der Bühne und die Körper seiner Akteure in die zweidimensionale Flächigkeit der Malerei zu übertragen. So als stünde dem Publikum da gar nicht die Physis und Körperlichkeit des Theaters vor Augen."Deutschlandfunk

"Regisseur Ersan Mondtag inszeniert die Geschichte wie einen Fantasyfilm von Tim Burton."dpa

"Eva Jantschitsch aka Gustav hat Baals Balladen, mit denen Brecht seinen zwischen 1918 und 1955 zigfach umgeschriebenen Text durchschoss, zu so eingängigen wie Weill'sch angeschrägten Songs komponiert. Stefanie Reinsperger und einmal auch Owen Peter Read interpretieren sie fabelhaft."Nachtkritik

"In dieser Aufführung bekommt man mehr Gänsehaut als in jeder Geisterbahn. (...) Würde man noch mal reingehen? Auf keinen Fall. Dafür war es zu gut."Süddeutsche Zeitung

"Stefanie Reinsperger spielt Baal mit genau der Wucht, die man erwarten durfte. Die Grundtextur ihrer Figurengestaltung ist die Überheblichkeit, unterstrichen durch das Wienerische, das sie hier in prächtigster Arroganz zum Strahlen bringt. Sie kehrt die Großkotzigkeit Baals lustvoll hervor, wechselt blitzschnell die Tonlagen (...)."RBB 24

"Die männliche Hauptrolle mit einer Schauspielerin zu besetzen, ist nicht mehr wahnsinnig revolutionär, aber gerade in diesem Fall eine sehr gute Wahl. Ein Mann, der Misogynes von sich gibt: Dagegen sind wir (erschreckenderweise) abgestumpft. Doch wenn Reinsperger Baals ekelhaft-frauenfeindliche Aussagen im Wiener Schmäh herausrotzt, stehen sie in ihrer vollen Ekelpracht im Raum. Der Macho ist eben auf seine normativ-mannhafte Wirkung angewiesen."Die Welt

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