Die Möglichkeit einer Insel

nach Michel Houellebecq
in einer Fassung von Robert Borgmann und Amely Joana Haag
Bertolt-Brecht-Platz 1
10117 Berlin
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Fünftes Jahrtausend: Unsere Erde ist infolge von Kriegen, Atomexplosionen und einer verschobenen Erdachse klimatisch und geologisch mutiert. Die Meere sind bis auf kümmerliche Reste von Wasser verschwunden. Zwei Menschenarten existieren noch: die Wilden, die vorzivilisatorisch in Ruinen des 21. Jahrhunderts vor sich hin vegetieren, und die Neo-Menschen, die isoliert in autarken Hightech-Stationen leben. Der Neo-Mensch, aus gentechnischen Experimenten einer religiösen Sekte entstanden, deckt seinen Energiebedarf durch Fotosynthese. Gefühle wie Liebe oder Hass sind ihm fremd, er kommuniziert virtuell und verfügt über keinerlei körperliche Kontakte. Wenn ein Neo-Mensch stirbt, wird zeitgleich in Central City anhand des gespeicherten genetischen Codes eine 18-jährige Kopie  erzeugt und so der Tod nivelliert. Der Erzähler Daniel, ein tieftrauriger Komiker, blickt – bereits zum 24. Mal geklont – zurück auf unsere untergegangene Welt.

"Die Möglichkeit einer Insel" ist nicht nur Science-Fiction, sondern auch ein Roman über die gnadenlose Angst vor dem  Altern in einer Gesellschaft, in welcher das letzte Tabu die  Unumkehrbarkeit der Vergänglichkeit ist. Der Abgrund zwischen dem obsessiven Jugendkult einer überalterten Gesellschaft und der Sehnsucht nach bedingungsloser Liebe lässt sich nicht mehr überbrücken, die Insel des Glücks bleibt Fiktion.

 

We regularly present performances of "The possibility of an island" with English surtitles. You can find the dates here. Our box office staff will be happy to tell you from which seats you will have a good sight-line to the surtitles. For the best view of both stage and surtitles, we recommend seats in the balcony (1. Rang). Seats in the side boxes have a partially obstructed view.    

Wir befinden uns im 5. Jahrtausend. Infolge von Atomexplosionen, Kriegen und einer verschobenen Erdachse ist die Erde klimatisch und geologisch mutiert. Die Meere sind bis auf kümmerliche Reste verschwunden. Es herrscht Dürre. Der Mensch, zur bedingungslosen Liebe unfähig, stattdessen beherrscht von Destruktivität und dem gnadenlosen Verfall seines Körpers ausgeliefert, hat sich abgeschafft. Nur Neo-Menschen und Wilde existieren noch. Die Wilden vegetieren in barbarischen Rudeln in Ruinen des 21. Jahrhunderts, die Neo-Menschen befinden sich in autarken Hightech-Stationen und erschießen die Wilden, sobald sie dem Elektrozaun ihres Anwesens zu nah kommen.

Der Neo-Mensch, entstanden aus gentechnischen Experimenten einer religiösen Sekte, den Elohimiten, deckt seinen Energiebedarf durch Fotosynthese. Er kennt keine Tränen und kein Lachen, weder Freude noch Leid, braucht keinen körperlichen Kontakt, kommunizieren tut er einzig virtuell. Seine Aufgabe besteht darin, die Lebensberichte seiner jeweiligen Vorgänger*innen zu studieren und einen Bericht für sein nachfolgendes Replikat zu verfassen. Ab und zu empfängt er Anweisungen der „Höchsten Schwester“ – wohl eine Verwandte von „Big Brother“. Die „Höchste Schwester“ hat das endgültige Urteil über die Menschheit gefällt, es gab keinerlei Gründe ihre Selbstvernichtung aufzuhalten. Sie verordnet den Neo-Menschen die endgültige Loslösung von jeglichen irdischen Passionen, ihre Lehren klingen wie zen-buddhistische Übungen zu Gleichmut. Die Neo-Menschen befinden sich in einem Übergangsstadium, sie erwarten die Ankunft „der Zukünftigen“, welche nur noch aus reinem Geist bestehen werden, denn auch die biochemisch optimierten Körper der Neo- Menschen haben Grenzen. Wenn die Inkarnation eines Neo-Menschen endet, wird in Central City umgehend ein äußerlich identisches Wesen im Alter von 18 Jahren erzeugt und in dessen Residenz abgesetzt.

Der Erzähler Daniel 25 ist der fünfundzwanzigste Nachfolger von Daniel 1 und blickt mit einem gewissen Staunen und einer diffusen Sehnsucht zurück auf die untergegangene Welt seines Ursprungs: Daniel 1 ist ein tieftrauriger Komiker unserer Zeit, der Millionen mit seinen skandalös politisch unkorrekten Shows verdient, das Lachen der Menschen jedoch nur mit Schmerzmitteln erträgt. Zwei wesentliche Liebesbeziehungen erlebt er, beide scheitern letztlich an der Unerträglichkeit des Alterns in einer turbokapitalistischen Gesellschaft, in welcher junge, effiziente Körper kultiviert, die Unumkehrbarkeit unserer Vergänglichkeit und der Tod hingegen verachtet und tabuisiert werden. Der moderne Mensch, unfähig zum Glück, dementsprechend Unglück verbreitend, hat keinen Grund mehr sich fortzupflanzen, childfree zones sind die Lebenszonen der Elite.

Wäre der Mensch in der Unsterblichkeit fähig, bedingungslos zu lieben? Wäre er dann in der Lage, nicht zerstörerisch zu agieren? An dieser Utopie setzt die religiöse Sekte der Elohimiten an. Ihr Hauptsitz befindet sich auf der Insel Lanzarote. Wer den Elohimiten seinen gesamten Besitz vermacht, erkauft sich das Anrecht auf Unsterblichkeit, auf eine Zukunft als Neo-Mensch. Der Überzahl der Menschen bleibt in dieser Dystopie nur die Option auf kollektiven Selbstmord oder ein animalisches Dasein mit geringer Überlebenschance unter Wilden.

Nachdem Daniel 1 seine vierzigjährige Frau Isabelle sprachlos ihrer Midlifecrisis überlassen hat und wenig später aufgrund seines eigenen Alters erbarmungslos an der Welt seiner 25 Jahre jüngeren Geliebten Esther scheitert, ist er reif für die Insel der Elohimiten. Seine Auferstehung als Neo-Mensch glückt, doch selbst der 25 mal inkarnierte Daniel verspürt noch Relikte von Sehnsucht und Neugier. Und so macht er sich am Ende der Geschichte auf den Weg, verlässt eigenmächtig seine Station, entscheidet sich für die Sterblichkeit und begibt sich auf die Suche nach anderen Wesen inmitten einer apokalyptisch verwüsteten Welt.

Michel Houellebecq hat Die Möglichkeit einer Insel 2005 veröffentlicht. Inzwischen stecken die jüngsten Milliardär* innen der Welt Unmengen von Geld in verschiedenste Technologien zur Überwindung des Todes im Silicon Valley und Houellebecqs Zukunftsszenario liest sich weniger denn je als Science-Fiction, sondern zunehmend als Metapher unserer Gegenwart. Robert Borgmann, der sowohl Regisseur, als auch Bühnenbildner der Inszenierung ist, schafft nicht in erster Linie eine Adaption des Romans, sondern entwirft vielmehr eine theatrale Installation zu dessen Thematik. Wir schauen auf ein Gemälde eines Inselufers, in Erinnerung an Boticellis Geburt der Venus, doch die Venus fehlt. Borgmann hebt in seiner Inszenierung die Figur des Vincent hervor, den Sohn des Propheten der Elohimiten. Vincent ist ein Künstler, welcher folgerichtig an der realen Welt scheitert. Zusammen mit der Künstlerin Susan entwirft er für alle Anhänger*innen der Elohim einen Ort der Liebe, einen gigantischen Raum für das Ritual des gemeinsamen – statt einsamen – Sterbens. Willkommen im ewigen Leben!

Von Amely Joana Haag

Pressestimmen

"Mr. Borgmann uses Mr. Houellebecq’s novel as a thematic springboard for a visually arresting, superbly acted meditation on love, happiness and immortality."New York Times

"Es ist eine der vielen irrlichternden Kippszenen, die Regisseur Robert Borgmann an diesem erstaunlichen Houellebecq-Abend mit erfreulich weitmaschiger Texttreue im Berliner Ensemble ganz in die Mitte stellt."Berliner Zeitung

"Borgmann klebt nicht an der Vorlage, versucht sie eher in Bilder und Stimmungen zu übersetzen. Mit einem grandiosen Ensemble, das den Abend durchaus sehenswert macht."Berliner Morgenpost

"Robert Borgmanns Inszenierung findet in vielen kleinen Szenen eine Deutlichkeit, ohne die Romanvorlage einfach nur nachzuerzählen."Nachtkritik

"Was ist Glück, Völlerei oder Leere?, fragt Houellebecq in diesen Perspektivwechseln mal naiv, mal zynisch. Borgmann kondensiert etwas Intelligenteres daraus und fragt mit allen Mitteln der Bühnenkunst: Was wird uns als Glück verkauft? Was sehen wir, was wollen wir sehen?"Berliner Zeitung

"Die Möglichkeit einer Insel" entsteht im Rahmen der Exzellenzreihe, gefördert durch die

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