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Wenn man in der Garage der Exfrau auf einem Ausziehsofa schläft und der eigene Sohn die Kommunikation auf ein Grunzen reduziert hat – dann ist es höchste Zeit für einen Tapetenwechsel. Der gallig-liebenswürdige Fotofachangestellte Wheeler ist 50 und am Nullpunkt seiner Existenz angelangt: Was jetzt kommt, kann nur besser oder der Anfang vom Ende werden. Mit dem Umzug in eine eigene Wohnung wagt Wheeler den Neustart und muss feststellen: Die Abwärtsspirale ist nicht aufzuhalten.
Tracy Letts hat nach "Eine Frau – Mary Page Marlowe" erneut ein Stück über die in ihrer Allgemeingültigkeit berührende Biografie eines Durchschnittsmenschen geschrieben, das die Frage stellt: Warum zerstören wir so oft das Richtige und dürsten immer wieder nach dem Falschen? Warum sind alte Muster stets verführerischer als der aufrichtige Wunsch nach Veränderung und für welche Verheißungen und Ideale sind wir bereit, uns der Lächerlichkeit und Verletzbarkeit preiszugeben? Letts’ unverstellt komischer Blick auf die Lebensrealität eines weißen, heterosexuellen Mannes, der stets um das Richtige bemüht ist und immer wieder das Falsche tut, befragt das Selbstbild und die gesellschaftliche Stellung einer Identität, die sich nicht nur im Amerika Donald Trumps permanent in der Krise befindet.
Der Autor und Schauspieler Tracy Letts ist Pulitzer-Preisträger und seziert in seinen Stücken mit einem scharfen Blick das gegenwärtige Amerika. Das Berliner Ensemble zeigte bereits seine Stücke "Eine Frau – Mary Page Marlowe" (Regie: David Bösch) und "Eine Familie" (Regie: Oliver Reese).
Nach langwieriger Scheidung und Übergangsquartier in der Garage seiner Exfrau ist der Misanthrop Wheeler am Nullpunkt seiner Existenz angelangt. Von der Midlife-Crisis gebeutelt, ist für ihn ein biographischer Neustart mehr als überfällig. Was jetzt kommt, kann nur besser oder der Anfang vom Ende werden. Schnell muss er feststellen: Die Abwärtsspirale ist nicht aufzuhalten – inklusive einiger unverhoffter Wendungen. Das neue Stück von Tracy Letts ist ein tragikomischer Trip in die Lebenswelt eines Verlierers, der fassungslos auf die Schneise der angerichteten Verwüstung seines Lebens blickt.
Der Psychoanalytiker Edmund Bergler bezeichnete bereits 1955 das Phänomen der Midlife-Crisis als eine „Revolte“, um die männliche Krise der mittleren Lebensjahre im Spiegel von Todesangst, ungelebten Träumen, Ausbruchphantasien und pubertärer Selbstfindung zu bebildern. Ist Wheeler solch ein Revoluzzer im Auftrag der eigenen Krise? Ein einsamer Kämpfer auf verlorenem Posten? Schuld an der eigenen Misere sind ja immer die anderen, die ganze Welt eine einzige Zumutung. Der Umstand, dass er von Frauen umgeben ist, die ihm an Ehrlichkeit, Krisenmanagement und Ich-Stärke um einiges voraus sind, macht die Sache nicht besser.
Denn gegen wen oder was kann sich Wheelers Revolte dann noch richten? Wenn die Verantwortung für das eigene Leben und Scheitern allein bei ihm selbst zu suchen ist? Wenn er als weißer, heterosexueller Mann zur privilegierten Mehrheitsgesellschaft gehört und kein Opfermythos mehr greift? Wenn die holperigen Rettungsversuche seines Lebens ihn nur immer mehr der Lächerlichkeit und Verletzbarkeit preisgeben? Wenn auf den Verlust aller Rettungsringe die Frage folgt: Wer bin ich denn eigentlich überhaupt? Um es mit den Worten Anton Tschechows zu sagen: „Eine Krise kann jeder Idiot haben. Was uns zu schaffen macht, ist der Alltag.“ Tobias Kluge
- Felix Rech als Wheeler
- Trang Le Hong als Minnie
- Stephanie Eidt als Jules
- Franziska Junge als Anita
- Josefin Platt als Margeret
- Veit Schubert als Paul/Michael
- Oliver Reese Regie
- Hansjörg Hartung Bühne
- Elina Schnizler Kostüme
- Jörg Gollasch Musik
- Tobias Kluge Dramaturgie