#BerlinIstKultur

"Kultur ist eine Investition in eine lebendige Gegenwart"

Am 13. November versammelte sich die Berliner Kulturszene institutionsübergreifend, um gemeinsam gegen die geplanten Kürzungen des Kulturetats zu demonstrieren. Zudem appellierte BE-Intendant Oliver Reese in seiner öffentlichen Rede an die Abgeordneten, die sie hier nachlesen können. Ein Rückblick. 

Nico Damian Lenz (Fotos), Oliver Reese (Text), Inke Johannsen (Video) | 13.11.24

© Nico Damian Lenz

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Die Kultureinrichtungen der Stadt Berlin, in ihrer überwältigenden Vielfalt von Opernhaus bis Theater, Tanzensembles, Konzerthäuser und Orchester, den vielen Playern in der freien Szene und nicht zuletzt aller Künstlerinnen und Künstler, wir alle sind vereint und solidarisch in einem großen Miteinander, einem Miteinander, das sich heute hier in einer Demo manifestiert, miteinander gegen die drohenden Kürzungspläne des Berliner Senats, die die Kultur massiv betreffen sollen.

Wir stehen hier heute, weil zur Stunde im Abgeordnetenhaus diese Kürzungspläne beraten werden – wir stehen symbolträchtig, aber ein bisschen zur Unzeit, vorm Brandenburger Tor, auch gut, gern hätten wir direkt vorm Abgeordnetenhaus demonstriert, aber die Genehmigung wurde kurzfristig nicht erteilt. 

Liebe Abgeordnete, rein formal mögen die Zuwendungen für die Kultur eine sogenannte freiwillige Leistung sein, in Wirklichkeit sind sie eine Investition in eine lebendige Gegenwart und in eine Wärmepumpe dieser großartigen, aber manchmal verdammt kalten Stadt. Die irre vielfältige Kultur macht Berlin lebenswerter! Sie macht Berlin attraktiv für die vielen Millionen von Tourist:innen – rund 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr! – von denen ein überwältigender Teil von 50 Prozent angibt, genau deswegen eine Reise in die deutsche Metropole zu machen.

Doch Berlins Kassen sind leer und nun soll gespart werden - insgesamt drei Milliarden Euro. Die Kultur, also wir alle, soll künftig zehn Prozent weniger Zuschüsse bekommen und zwar ab dem Jahr 2025, also quasi ab sofort.
Zehn Prozent, das klingt doch nach wenig, da sollen wir uns doch mal nicht so anstellen. Doch die Wahrheit ist leider, dass diese zehn Prozent mit ungeheurer Wucht die Einrichtungen genau da treffen, wo sie am relevantesten, aber auch empfindlichsten sind, in der künstlerischen  Spitze.


Für die kleinen, die freien Einrichtungen würden zehn Prozent nicht bloß ein bisschen weniger bedeuten, sondern de facto das Aus. Da gibt es keine großen Abteilungen, in denen dann gegebenenfalls eine:r fehlt – da fährt ja bereits der Inspizient den Ton ab oder es gibt längst keinen Inspizienten mehr und die Beleuchter machen alles allein, die Gehälter grenzen an Selbstausbeutung. Freie Schauspieler:innen können schon längst nicht mehr nur vom Theaterspielen oder ihren paar Drehtagen leben, sondern machen Sprecher- und andere Jobs nebenbei, um über die Runden zu kommen. Die gestiegenen Mindestgagen, die sich nicht in Steigerungen der Etats abgebildet haben, bringen schon jetzt manches Kinder- und Jugendtheater an den Rand seiner Möglichkeiten. Diese Häuser und Gruppen machen fantastische Arbeit, sie sind es, die Bildungsarbeit leisten und im Grunde unsere Zukunft sichern. Zehn Prozent weniger und es kann sie die Existenz kosten.

Aber auch bei den großen Einrichtungen haben wir keineswegs 100 Prozent freie Gelder für die Kunst, wie sich das mancher vielleicht vorstellen mag, der leichtfertig von freiwilligen Zuwendungen spricht. Sondern 85 Prozent sind festgelegt für die Basics, Gehälter, Raummiete, Gebäudeunterhalt – und die restlichen 15 Prozent, die erwischt es mit den 10 Prozent an Kürzungen eben fast zur Hälfte! 


Wir werden also in Zukunft nicht ein bisschen weniger, sondern viel weniger neue, interessante, diskutierenswerte, wagemutige Inszenierungen zeigen können. Die Kürzungen treffen die künstlerische Produktion ins Herz und sie werden dadurch auch in voller Härte bei denen landen, die es sowieso schon zwei harte Jahre lang mit Corona voll erwischt hat – bei den freien Künstlerinnen und Künstlern, von denen viele bereits aufgegeben haben. 

Die Rechnung geht nicht auf – im kleinsten Etatposten der Stadt, dem Kulturetat, mit gerade einmal 2,1 Prozent des Gesamthaushalts, 10 Prozent zu kürzen und dabei den Verlust der Attraktivität des Standorts hinnehmen,  zehn Prozent zu  sparen, um gleichzeitig Einnahmeverluste in Kauf zu nehmen und am Ende den Ruf der kulturellen Metropole zu gefährden. Zehn Prozent sparen, aber bis zu 50 Prozent ruinieren!


Wir leben doch in ziemlich finsteren Zeiten – wo, wenn nicht in einer lebendigen Kulturlandschaft wie sie sich hier über Jahrzehnte entwickelt hat, können die Menschen zusammenkommen, sich geistigen und seelischen Input holen, gemeinsam die Kraft der Musik erleben, ihre Gefühlswelt durch große, hochkarätige, exzellente Schauspieler:innen aufwallen lassen, in Diskursveranstaltungen, die leicht zugänglich für alle sind, ihre Argumente schärfen in den heftigen Debatten über die rechten Ränder oder die Kulturkämpfe um Antisemitismus oder Gerechtigkeit, schließlich die besonderen Off-Orte erleben, die unsere Kulturszene so aufregend und tatsächlich weltweit einmalig machen. Weltweit – das ist keine Übertreibung, das deutsche Theatersystem ist ja tatsächlich weltweit einmalig, viel beneidet, und Berlin mit seinem vollkommen unvergleichbaren Angebot ist seine Kulturhauptstadt. - Oliver Reese