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Im Zentrum dieser Geschichte um Glaubensfreiheit in der Zeit der Gegenreformation steht die Familie Rott, die von der Glaubensspaltung innerhalb der christlichen Religion geteilt ist. Vater und Sohn (FAZ: Andreas Döhler "großartig nuanciert") sind lutherisch, Schwiegermutter und Frau (FAZ: "ebenfalls überwältigend: Stefanie Reinsperger") sind katholisch. Während die Familie nichts anders möchte, als unbehelligt ihr Leben zu führen, hat die Regierung andere Pläne. Ein kaiserlicher Reiter kommt in ihr Dorf und stellt die angeblich Falschgläubigen vor die Wahl, entweder ihr Zuhause, ihr bisheriges Leben aufzugeben oder von ihrem Glauben abzuschwören. Damit wird die Familie vor eine unerbittliche Zerreißprobe gestellt: Was ist man bereit aufzugeben? Wofür will man sich auf einen bedingungslosen Kampf einlassen? Welche Bindung ist die (über-)lebenswichtigste: diejenige an Menschen, an Räume, an Dinge oder an Überzeugungen? Schönherrs 1910 uraufgeführtes Volksstück zeigt, wohin es führt, wenn eine autoritäre Regierung beschließt, ihr Gebiet zu homogenisieren.
"Thalheimer inszeniert die kammerspielartige Volkstragödie hochkonzentriert als bedrohliche Studie über die Grausamkeit des Glaubenskampfes. Ohne einen großen ästhetischen Überbau, so psychologisch feinfühlig wie selten..." (FAZ)
Zum Stück Glaube und Heimat von Karl Schönherr
Angeregt wurde Karl Schönherr zu Glaube und Heimat von einer bildlichen Darstellung der Vertreibung der Zillertaler Protestantinnen und Protestanten im Jahre 1837 durch die katholische Obrigkeit. Die Handlung seines Dramas verlegte er in die Zeit der Gegenreformation, bezieht sich dabei jedoch nicht auf eine konkrete Verfolgungs- und Emigrationswelle, sondern konzentriert sich generell auf das Thema der Vertreibung innerhalb des Christentums mitten in Europa, das er in aller Drastik vorführt. Als historisches Vorbild für die Figur des kaiserlichen Reiters diente Schönherr Ferdinand II., von 1619 bis 1637 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der in seinem Gebiet einen harten gegen reformatorischen Kurs verfolgte. Das im Stück ausgesprochene Verbot, minderjährige Kinder mitzunehmen, spielte in den Austreibungen von 1684 und 1686 eine entscheidende Rolle. Uraufgeführt wurde das Stück 1910 am Volkstheater in Wien. Ein Jahr später erhielt Schönherr dafür den Grillparzer-Preis. In der Tragödie eines Volkes, wie der Untertitel lautet, wird die Geschichte einer Dorfgemeinschaft erzählt, die von der Glaubensspaltung innerhalb der christlichen Religion geteilt ist, und nun durch ein kaiserliches Dekret gewaltsam getrennt werden soll. Wer sich nicht zum katholischen Glauben bekehrt und sich nicht dem Willen der Obrigkeit beugt, muss das Land verlassen. Menschen werden vor die unerbittliche Wahl gestellt zu entscheiden, welche Bindung für ihr Leben die wichtigste ist: diejenige an Menschen, an Räume, an Dinge oder Überzeugungen? Das Dekret spaltet nicht nur das Dorf, die Nachbarschaft, sondern zerreißt ganze Familien, so auch die Familie Rott, von der das Stück im Kern handelt. Der Großvater, Alt-Rott, und sein Sohn, Christoph, sind Protestanten, die, weil schon der andere Sohn verjagt wurde, ihren Glauben nur im Verborgenen leben. Von der Situation profitiert in erster Linie der reichste Bauer im Ort, der die Höfe der Landesverwiesenen zu Spottpreisen aufkauft, um seine immer größer werdende Nachkommenschaft mit Eigentum zu versorgen. Als die katholischen Reiter Haus für Haus nach protestantischen Bibeln durchsuchen, verleugnen Christoph und sein Vater wie seit ehedem, woran sie glauben. Der todkranke Alt-Rott, weil er zu hause begraben werden möchte, und Christoph nicht zuletzt, um seine Familie zusammenzuhalten – Frau und Kind sind katholisch. Erst als die Nachbarin vor ihrer aller Augen er stochen wird, weil sie die Luther bibel nicht hergeben will, bricht auch Christoph Rott sein Schweigen und bekennt sich öffentlich – zum großen Unglück seiner Frau. Der Reiter wiederum sieht es mittlerweile als seine Pflicht, nicht nur alle, die den protestantischen Glauben im Geheimen leben, aufzuspüren und zu vertreiben, sondern sie um jeden Preis zum Abschwören zu bringen. Während Sandperger einbricht, entschließt sich Rott zu widerstehen, notfalls bis zum Tod: „Nit weichen, um Leben und Sterben nit“. Als der Familie Rott schließlich das Kind weggenommen werden soll, damit es nicht bei Falschgläubigen aufwächst, eskaliert die Situation. „Hat’s müssen so kommen!“ – der schmerzliche Ausruf der Rottin zielt in das Herz dieser schier ausweglosen Zerreißprobe. Wie sich verhalten gegenüber einer weltlichen oder religiösen Instanz, die den unbedingten Gehorsam ihr gegenüber als Voraussetzung für das menschliche Wohlergehen mit Gewalt durchsetzt, und in einem Denken und Handeln verhaftet ist, das nur eine Religion, eine Sprache oder eine Kultur gelten lässt? Kein Trost für die, die nicht bekennen – „so geht’s Seite für Seite, das ganze Buch“, stellt Christoph Rott, die Lutherbibel lesend, fest. Und doch steht am Ende bei Schönherr das Herauswachsen über alle Gegensätze, indem er dem Rott-Bauern eine alles Allzumenschliche übersteigende Symbolgeste gelingen lässt: Christoph Rott bietet dem kaiserlichen Reiter die Hand, worauf dieser sein Schwert zerbricht.
Rechtsbruch und Rückfall in die Voraufklärung
Im ausgehenden 18. Jahrhundert verstand sich die Monarchie der Habsburger als ein Bollwerk des Katholizismus gegen die verschiedenen religiösen Reformationsbewegungen. Gemeinsam mit der katholischen Kirche hielten sie über drei Jahrhunderte hinweg den virulenten Protestantismus in ihren Gebieten nieder, drängten ihn ab, unterdrückten ihn. Die Grafschaft Tirol war im Verständnis ihrer katholischen Obrigkeit bereits im 17. Jahrhundert ein religiös „befriedetes“ Land. Dieses von Staat und Kirche geförderte Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, in Tirol würden ausschließlich Menschen katholischen Glaubens leben, wandelte sich, sobald es in Zweifel gestellt und herausgefordert wurde, zu dem gefährlichen ideologischen Konstrukt „Staats- und Glaubenseinheit“, das unbedingt durchgesetzt werden sollte. Dabei war der Stein des Anstoßes, über den man in Tirol ungern stolpern wollte, das von Kaiser Joseph II. 1781 erlassene Toleranzpatent. Es galt für die Angehörigen des Augsburger (Luther) und des Helvetischen (Calvin) Bekenntnisses sowie des orthodoxen Christentums. Diesen wurde zugestanden, ihren Glauben offen zu leben, es wurden ihnen dieselben bürgerlichen Rechte eingeräumt wie den Katholikinnen und Katholiken, sie wurden entkriminalisiert. Gemessen an der bisherigen Praxis war das ein großer Schritt in Richtung Gewissensfreiheit und freier Religionsausübung. Die Reaktionen auf die Toleranzgesetzgebung des Kaisers, die auch Juden und Jüdinnen einbezog, waren zwiespältig. Während der damalige Salzburger Erzbischof, dessen Diözese sich auf das östliche Zillertal erstreckte, sie begrüßte, wurde sie von seinem Brixner Amtskollegen, der für das westliche Zillertal zuständig war, vehement kritisiert. Die politischen Vertreter in Tirol wiederum opponierten geschlossen gegen das Toleranzpatent. Sie hielten es für das Land, dessen Verfassung auf der katholischen Religion basiere, für „sehr bedenklich, beschwerlich und nachteilig“. Angesichts dieser feindlichen Stimmung erstaunt es nicht, dass sich a katholische Personen kaum getrauten, offen zu ihrer eigenen Konfession zu stehen. Nach dem Ende der napoleonischen Besatzung, wollten die Protestanten und Protestantinnen des Zillertals in den späten 1820er-Jahren der Geheimhaltung ihres Glaubens ein Ende setzen. Im Namen von ungefähr 240 Personen wandten sich im Juni 1832 Bartlmä Fleim, Bauer und Familienvater, Johann Fleidl, unverheirateter Gutsbesitzersohn, und Christian Brugger mit einem Bittgesuch an Kaiser Franz I. Sie beriefen sich darin indirekt auf das Toleranzpatent von 1781 und baten darum, ihren Glauben im Familienkreis praktizieren zu dürfen und keinen Restriktionen mehr ausgesetzt zu sein. Sie wollten weder andere bekehren, noch einen Pastor bestellen oder eine Kirche bauen. Dennoch kam sofort der Verdacht auf, sie wollten eine eigene protestantische Gemeinde gründen, was sowohl die Bischöfe aus Salzburg und Brixen als auch die politischen Vertreter verhindern wollten. So entwickelte der Ausschuss der Tiroler Landesstände jene hinterhältige Argumentation, die den Zillertaler Protestantinnen und Protestanten zum Verhängnis wurde: Diese seien keineswegs Angehörige des Augsburger Bekenntnisses, sondern lediglich zum Protestantismus neigende Personen, sogenannte "Inklinanten“ – im Grunde protestantische Sektierer, die nicht unter den Schutz des Toleranzpatents fielen. Die Stimmung im Land war aufgeheizt und alles andere als empfänglich für das freiheitliche Anliegen der Protestanten und Protestantinnen. Angesichts massiver Frontstellung und Mobilisierung beugte sich Wien den Forderungen der Tiroler Obrigkeit und sanktionierte damit einen Rechtsbruch. 1834 verfügte ein kaiserliches Dekret, dass all jene, die sich nicht zum katholischen Glauben bekennen wollten, das Zillertal zu verlassen hatten. 1837 wurde das Dekret vollzogen. Aufnahme fanden die Zillertaler Emigranten und Emigrantinnen im preußischen Niederschlesien, größtenteils in Erdmannsdorf. Der Ort heißt heute Myslakowice und liegt in Polen.
Von Sibylle Baschung
- Andreas Döhler als Christoph Rott
- Stefanie Reinsperger als Rottin, seine Frau
- Josefin Platt als Alt-Rott, sein Vater
- Laura Balzer als Der Spatz, sein Sohn
- Jonathan Kempf als Peter Rott, sein Bruder
- Martin Rentzsch als Sandperger zu Leithen
- Kathrin Wehlisch als Sandpergerin
- Tilo Nest als Englbauer von der Au
- Barbara Schnitzler als Die Mutter der Rottin
- Gerrit Jansen als Unteregger, Schwager der Rottin
- Ingo Hülsmann als Ein Reiter des Kaisers
- Veit Schubert als Bader, Schreiber
- Michael Thalheimer Regie
- Nehle Balkhausen Bühne/Kostüme
- Bert Wrede Musik
- Ulrich Eh Licht
- Sibylle Baschung Dramaturgie