Ab jetzt geht es mir, als wären wir enge Vertraute.
Sie haben eine Neuübersetzung von Ferenc Molnárs "Liliom" aus dem Ungarischen für das Berliner Ensemble gemacht. Was verbindet sie mit dem Autor?
Ich wäre nicht allein auf die Idee gekommen. Es war Oliver Reese, der Intendant des BE, der die Idee hatte. Ich kannte von Molnár bis zu dem Zeitpunkt nur "Die Jungen von der Paulstraße" und "Der Schwan" und von "Liliom" den Inhalt, hatte mich aber nie mit dem Text selbst beschäftigt. Ab jetzt ist das allerdings ganz anders. Ab jetzt geht es mir, als wären wir enge Vertraute.
Wie gehen Sie an die Übersetzungsarbeit heran, wie nähern Sie sich einem Text?
"Als hätte es vorher nichts gegeben, neu und herausfordernd, wie die aufgehende Sonne". Oder mit anderen Worten: als gäbe es nur ihn und mich. Wenn man die Gelegenheit hat, zurück zu den Wurzeln zu gehen, stößt man auch bei einem so bekannten Stück wie "Liliom" auf bis dahin Unentdecktes. Unser Bild von "Liliom" ist ja geprägt von den vielen, vielen Interpretationen, die in über 100 Jahren gemacht worden sind. Wer von uns, der/die kein:e Ungar:in ist, weiß schon, wie das Stück wirklich ist? Und auch unter Ungarisch-Könnenden: wer liest sich schon das Originalstück durch (das übrigens frei in der digitalen literarischen Akademie DIA.hu verfügbar ist)? Als Übersetzerin tut man das und dadurch hat man das Gefühl, als wäre man seit langer Zeit wieder die erste Insiderin. Deswegen muss man von Zeit zu Zeit Neuübersetzungen machen. Um quasi den Gaumen zu reinigen.
Wenn man die Gelegenheit hat, zurück zu den Wurzeln zu gehen, stößt man auch bei einem so bekannten Stück wie "Liliom" auf bis dahin Unentdecktes.
Macht es für Sie einen Unterschied, ob sie einen Text für das gelesene oder das gesprochene Wort übersetzen?
Ich lese mir auch Nicht-Bühnentexte vor, damit ich höre, ob der Satz gut klingt. In diesem Fall war es so, dass Molnár ohnehin sehr gut für die Bühne schreiben konnte, ich musste also seine Sätze nicht der gesprochenen Sprache näherbringen, sie waren schon dort, wo sie hingehörten. Das war ja das sehr Vergnügliche an dieser Übersetzung: sich mit einem gut gemachten Text beschäftigen zu können. Wo einem der Autor entgegenkommt und man nicht ihm entgegenkommen muss.
Fällt es Ihnen leicht, den Text schließlich aus der Hand und zur Bearbeitung auf die Bühne zu geben?
Ich habe zu einer Zeit angefangen ins Theater zu gehen (Anfang der 90er Jahre), als es Mode war, Stücktexte mehr oder weniger als Empfehlungen zu betrachten, ich bin also einiges an Kummer gewöhnt. Manchmal werden die Möglichkeiten des Stücks (und damit auch unsere Perspektiven) dadurch erweitert, manchmal nicht. Das ist das Risiko. Wie es diesmal geworden ist, werde auch ich erst bei der Premiere erfahren.