Backstage

Die vielstimmige Beschwörung von Heimat

Mit der Abschlusspräsentation "Heimat suchen, Heimat finden" wurden die besten Texte des Schreibwettbewerbs des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten gekürt und auf der Bühne des Neuen Hauses von den Gewinner:innen sowie BE-Ensemblemitgliedern gelesen. Geleitet wurde das Projekt von Monika Hebbinghaus, die Ihnen hier einen Einblick in die Entstehung und die Auswahl der Texte gibt. 

Monika Hebbinghaus | 24.02.25

© Moritz Haase

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Als im vergangenen Jahr die türkische Autorin und Journalistin Ece Temelkuran auf mich zukam mit dem Wunsch, mit geflüchteten Menschen über Heimat zu sprechen, setzte sie damit einen Prozess in Gang, der schließlich in die Idee mündete, einen Schreibwettbewerb für Geflüchtete zum Thema Heimat zu machen. Dass das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten darüber hinaus im Rahmen einer Erbschaft eine private Spende erhielt, verbunden mit dem Auftrag, "etwas für Flüchtlinge" zu tun, verschafft uns den nötigen finanziellen Spielraum für die Umsetzung. Warum Heimat? Weil das Wort zu wichtig ist, um von reaktionären Kräften in Beschlag genommen zu werden. Und weil es das Potential einer positiven Vision für unser Zusammenleben enthält, die ein Gegengewicht darstellen könnte zum herrschenden Diskurs, der meist ideologisch geführt wird: den einen soll Heimat Zugehörigkeit vermitteln, den anderen signalisieren: ihr gehört nicht dazu.

 

Dabei ist Heimat im herkömmlichen Sinne ein Begriff, der sich schon mit Beginn der Moderne mehr und mehr auflöste. Eine geografisch definierte Zugehörigkeit musste zwangsläufig an Wirkungskraft verlieren in einer immer mobiler und durchlässiger werdenden Gesellschaft, wo Menschen auf der Suche nach Bildung und sozialem Aufstieg ihre Geburtsorte verlassen, in Großstädte ziehen, um sich neu zu definieren. Heimat bleibt ambivalent, ist einerseits rechter Kampfbegriff, andererseits die Sehnsucht nach etwas, was sich stets entzieht, die Suche nach etwas unwiederbringlich Verlorenem. Die Teilnehmenden des Schreibwettbewerbs finden in ihren Texten viele Antworten auf die Frage nach der Heimat. Der Begriff öffnet sich dadurch, er wird dynamisch und inklusiv statt ausgrenzend. So wird Heimat zur selbst empfundenen "Zugehörigkeit" – zum "Ort des Seins", wie es Shekib Ansari in seinem Essay formuliert. In dieser Offenheit wird Heimat zu etwas, das jeder an jedem Ort anstreben kann – das Gefühl von Ankommen in seinem eigentlichen Leben, das Gefühl von Schutz und Sicherheit, von Entwicklungsmöglichkeit, von So-sein-können, wie man ist. 

 

Mehr als 100 Texte wurden eingereicht: von der dramatischen autobiografischen Fluchterzählung über das philosophische Essay bis zur absurd-grotesken Kurzgeschichte. Die besten haben wir in der Wettbewerbs-Anthologie "Heimat suchen, Heimat finden" zusammengestellt. Den Menschen, deren Geschichten darin versammelt sind, wurde Zugehörigkeit in ihren früheren Heimaten verwehrt. Sei es, weil Krieg ein Leben in Sicherheit zerstörte, weil Frauen die freie Entfaltung verwehrt wurde, weil Autoren das freie Wort verboten war oder weil es für Angehörige diskriminierter Gruppe keine Chance auf eine selbstbestimme Zukunft oder gar ein Leben in Freiheit gab. In ihren Geschichten finden sie Antworten auf die Frage nach der Heimat: Der Mutterleib – in diese Sinne sind wir alle Vertriebene. Die Liebe zu einem anderen Menschen – oder die Menschlichkeit überhaupt. Asya Aldiri bringt es in ihrem Text so auf den Punkt: "Ich habe gelernt, dass Heimat kein Ort, sondern ein Zustand ist – ein Gefühl, als Mensch anerkannt zu werden, das Recht zu haben, zu sprechen und gehört zu werden. Es ist das Bewusstsein, dass meine Geschichte, mein Schmerz und mein Verlust Teil von etwas Größerem sind."

© Moritz Haase

Im Berliner Ensemble, unterstützt von wunderbaren Schauspieler:innen, wurden die preisgekrönten Texte nun auf die Bühne gebracht – in Anwesenheit ihrer Autorinnen und Autoren. Fast ein Jahr nachdem das BE eine Correctiv-Rechereche über die Remigrations-Phantasien rechter Gruppierungen auf die Bühne gebracht hat, gab es bei der Abschlussveranstaltung des Schreibwettbewerbs im Neuen Haus nun so etwas wie den Versuch einer Gegenutopie. Die vielstimmige Beschwörung von Heimat als einem Konzept der Zugehörigkeit für viele. In den Worten der Juryvorsitzenden Ece Temelkuran: "Gemeinsam schaffen wir eine Vision von diesem Land als Zuhause für alle Menschen, als Heimat für die Menschlichkeit. Während in der Welt alles auseinanderzubrechen droht, während wir Zeugen werden, wie eine brutale neue Weltordnung etabliert wird, verstärken wir die Stimmen derer, die für ein menschliches Grundbedürfnis eintreten: Sich zuhause fühlen zu können in dieser Welt. Wir streben danach, menschlich zu bleiben in unmenschlichen Zeiten."

 

Monika Hebbinghaus, Projektleitung "Heimat suchen, Heimat finden", Presse- und Öffentlichkeitsarbeit LAF