Die Jury des Helene Weigel Theaterpreises 2024 begründete Max Gindorffs Auszeichnung wie folgt: "Frei, beweglich, offen, sensibel, ironisch, ohne Voreingenommenheit und unangepasst – Max Gindorff fasziniert am Berliner Ensemble auf allen drei Bühnen. Er findet sich in unterschiedlichsten Rollen und Spielstätten ein und sucht dabei stets nach eigenwilligen Lösungen, die eine Produktion als ganze voranbringen. Gindorff strahlt eine Spielfreude und -tiefe aus, die ein emotionales Zusammenspiel mit seinen Schauspielkolleg:innen auf der Bühne entstehen lässt und das Publikum schnell ergreift und mitreißt."
Der Preis wurde am 16. November im Anschluss an die Vorstellung von "Tod eines Handlungsreisenden" im Neuen Haus verliehen. Mit freundlicher Unterstützung des Bundesverband Schauspiel e.V. (BFFS). Stifter des Preises ist Freundeskreis-Vorstandsmitglied Dr. Daniel Weiß.
Ich will mich zuallererst bei der Jury bedanken, bei Rebecca Lyson, Matthias Warstat und Amely Haag.
Vielen Dank dem Freundeskreis des Berliner Ensembles. Es ist so schön, immer wieder bekannte Gesichter im Publikum zu sehen oder auf Proben oder in der Kantine, die so interessiert an dem sind, was wir hier jeden Tag mit viel Kraft versuchen auf die Beine zu stellen. In diesen Zeiten, in denen man manchmal das Gefühl hat, dass diese harte Arbeit von Seiten der Politik nicht geschätzt wird, trifft ihr Interesse und Engagement umso doller mitten ins Herz. Vielen Dank dafür. Vielen Dank auch Antonia für die Kommunikation und Organisation.
Ich will mich auch bei Helene Weigel bedanken, dass sie ein so wunderbares Haus mit aufgebaut und bespielt hat - wenn man sich manchmal anschaut, wie kreativ und mit wie viel Tatendrang in allen Abteilungen, Gewerken, Büros und Räumen tagtäglich geackert wird, dann denke ich mir, dass sie weiterhin sehr stolz auf ihr altes Haus wäre.
Als ich über meine Dankesrede nachgedacht habe, habe ich mir gleichzeitig die Frage gestellt, wie man überhaupt zu so einem Preis kommt. Und: wem diese Ehrung eigentlich gebührt? Weil solche Auszeichnungen müssen ja Gründe haben. Sie, lieber Freundeskreis, haben Gründe, ob objektive oder subjektive, warum sie mich oder jemand anderes nominieren; Sie, liebe Jury, haben Ihre sehr schmeichelnden Gründe bereits mitgeteilt. Aber ich finde es absolut größenwahnsinnig und schlichtweg falsch hier zu stehen und zu denken, ich allein wäre dafür verantwortlich. Und deswegen möchte ich an dieser Stelle mal ganz vorne anfangen und meinen Eltern Danke sagen, denn: Ich wäre überhaupt nicht Schauspieler geworden, wenn meine Eltern mich in meiner Kindheit und Jugend nicht zweimal die Woche zum Musikunterricht gefahren hätten. Wenn sie ihre Zeit nicht geopfert hätten, um mich viermal die Woche in jede Schwimm- und Kunstturnhalle zu kutschieren. Als ich meinen Eltern damals mitteilte, dass ich Schauspieler werden wollte, haben die sofort genickt - fanden das toll - haben dann aber gleichzeitig die Rückfrage gestellt: "Wie wird man das denn?" Ich habe dann etwas beschämt geantwortet: "Das weiß ich doch nicht, aber irgendwie wird's ja schon gehen." Mein Vater kam dann auf eine Idee: Es gab im luxemburgischen Fernsehen einmal die Woche ein Kinomagazin, in dem die neu angelaufenen Kinofilme besprochen wurden. Mein Vater hat daraufhin den Kontakt mit einem der Moderatoren aufgenommen, damit ich dieser Person alle meine Fragen stellen konnte. Mir wurde dann empfohlen, im Konservatorium Sprecherziehung und Rollenunterricht zu nehmen. Ich nahm diese Empfehlung ernst und so hatte der Sohnemann mir nichts dir nichts seinen Eltern für die kommenden Jahre gleich ein paar Autostunden mehr aufgetragen. So waren sie dann allein wegen mir, ich habe noch eine Schwester, bei Freizeitbeschäftigungen im Wert von insgesamt achtmal die Woche Hin- und Rückfahrten.
Warum ich Ihnen das alles erzähle? Ich möchte Ihnen klarmachen, dass ich niemals hätte der Schauspieler werden können, der ich heute bin, hätten meine Eltern mir nicht all das ermöglicht. Indem sie ihre Zeit für mich gaben und mir auch mit vernünftiger Hand auftrugen, dass ich, wenn ich Anfang des Schuljahrs beschloss, weiter die Musikschule zu besuchen, ich dieses auch zu Ende bringe, auch wenn ich inmitten des Schuljahres einfach keinen Bock mehr hatte. "Was man anfängt, bringt man zu Ende", so die Eltern. Und diese Freizeitbeschäftigungen waren ja auch nicht umsonst, ganz im Gegenteil. Und auch das haben sie ohne Widerwillen gestemmt. So etwas scheint einem Kind selbstverständlich, bis man dann selbst Kinder hat und merkt, wie tief man für diese Unterrichte in die Taschen greifen muss. Ich habe keine Kinder, also musste ich erst einen Preis überreicht bekommen, damit mir so etwas klar wird. Also auch Danke dafür.
Und wenn man denkt, diese Unterstützung endet, sobald man auszieht, dann kommt ein Studium im Ausland hinzu, das so zeitaufwändig ist, dass ein Nebenjob schlichtweg unmöglich ist und man gezwungen ist, ein Studiendarlehen zu beantragen. Und bei diesen Rückzahlungen greifen meine Eltern mir bis heute unter die Arme. Somit wäre dann auch geklärt, wofür das Preisgeld genutzt wird. An dieser Stelle: Vielen Dank an Herrn Dr. Daniel Weiß für diese großzügige Stiftung.
Sie sehen, das ist also alles gar nicht so selbstverständlich dahergekommen, wie ich es lange Zeit dachte. Und jeder Musikunterricht, jedes Training und jede Stunde im Konservatorium haben dazu beigetragen, dass ich später an einer Schauspielschule angenommen wurde und jetzt an so einem tollen Haus wie dem Berliner Ensemble arbeiten darf.
Und ja, vielleicht ist da auch irgendwo tief in mir drin ein Fünkchen von dem, was man Talent nennt. Und ja, ich bin diese Arbeit auch immer mit viel Enthusiasmus angegangen und mit einem gewissen Anspruch an mich selbst. Aber ich bin auch einfach enorm privilegiert, weil ich solche Eltern habe, die mir eine derartige Ausbildung ermöglichten, und weil ich so viel arbeiten durfte und immer noch darf. Das kann man in so einem Moment wie diesem hier nicht oft genug sagen. Ich hätte gar nicht die Chance, meine Kunst so zeigen zu können, wenn ich nicht das Privileg hätte, so viel arbeiten zu dürfen. Und in dieser Arbeit auch scheitern zu dürfen. Denn mein Privileg besteht auch darin, dass ich trotz des Scheiterns immer wieder die Chance habe, es aufs Neue zu versuchen. In so einer Position zu sein, dieses Vertrauen zu bekommen ist wahnsinnig wertvoll, das können sich die meisten Leute, die nicht in diesem Beruf arbeiten, oft gar nicht vorstellen.
Das subventionierte deutschsprachige Kultursystem ist in dieser Form, wie wir es haben, weltweit einzigartig. Oliver, du hast es bei deiner Rede auf der Demo am Mittwoch gesagt - die Welt bewundert uns dafür. Ich will darauf nicht verzichten müssen. Nicht nur um meiner und meiner Kolleg:innen willen, sondern auch nicht um unser aller Zusammenleben willen. Das Interesse daran darf niemals erlöschen, sondern soll weiter wachsen und blühen.
Dieser Preis ist ein Kompliment an mich und an meine Arbeit, aber auch und vor allem ein Kompliment ans Theater selbst. Das motiviert. Ich bedanke mich sehr für dieses Kompliment. Vielen, vielen Dank. - Max Gindorff