Backstage

Shakespeare für jede Epoche

Autor Pavlo Arie ließ sich von der These leiten, dass es stets ein passendes Stück von William Shakespeare gebe, das das Weltgeschehen erklärt und stieß auf seinen Klassiker "Macbeth", den er daraufhin für das Berliner Ensemble aktualisierte. Wir haben ihn zu seiner Arbeit an "Future Macbeth", dem Entwicklungsprozess und der Zusammenarbeit mit den Schauspielstudierenden befragt. 

Pavlo Arie und Inke Johannsen | 24.01.25

© Moritz Haase

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Lieber Pavlo, du hast dir William Shakespeares "Macbeth" vorgenommen und seinen Klassiker aktualisiert. Wie kam es dazu?
 

Vor etwa einem Jahr begannen Stas Zhrykov und ich über eine Zusammenarbeit nachzudenken. Damals war es noch ein Traum – wir überlegten, worüber wir sprechen und was wir den Zuschauer:innen vermitteln möchten. In diesem Moment erinnerte ich mich an eine Idee, die mir sehr am Herzen liegt und die mich schon lange fasziniert. Die Grundidee ist, dass es unter Theaterleuten eine Theorie gibt: In jeder Zeit, in der wir leben, kann man ein Stück von William Shakespeare finden, das dazu geeignet ist, den Geist der Epoche auszudrücken. Ein solches Stück hilft uns, durch das Medium Theater zu verstehen und zu erklären, was in der Gesellschaft geschieht.
Während ich überlegte, welches Stück von Shakespeare genau das sein könnte, das unsere schwierige und merkwürdige Zeit sowie die neuen Herausforderungen, die vor jedem von uns, der Gesellschaft und der Zukunft stehen, widerspiegelt, spürte ich intuitiv, dass es "Macbeth" sein muss. Ich hatte das Gefühl – obwohl ich es nicht genau erklären konnte –, dass heute besonders das Thema Gewalt relevant ist. Wir leben in einer Zeit, in der Gewalt alles durchdringt: Sie umgibt uns und zerstört uns von innen heraus.
Zu meinem großen Glück fand diese Idee Unterstützung bei Intendant Oliver Reese und Regisseur Stas Zhirkov, ihr Vertrauen und ihre Unterstützung, waren für mich von unschätzbarem Wert. Uns ist es gelungen, diese Idee aufzugreifen und interessante Antworten bei Shakespeare zu finden. Wir haben seine Gedanken nicht nur interpretiert, sondern weiterentwickelt, um sie mit dem Publikum zu teilen.

Ihre Herzen brennen, und sie haben keine Angst, das zu zeigen.

© Jörg Brüggemann

In der Inszenierung von Stas Zhyrkov sind sieben Schauspielstudierende besetzt, die die titelgebende "Future" ausmachen und als Co-Autor:innen angegeben sind. Was kannst du uns über den Entstehungsprozess erzählen? 
 

Der gesamte Arbeitsprozess, von Anfang bis Ende, war erstaunlich und unglaublich angenehm. Wahrscheinlich lag das vor allem daran, dass wir mit Studierenden, also mit jungen Menschen gearbeitet haben. Sie sind sehr offene, aufrichtige und inspirierende Persönlichkeiten. Vielleicht sind es gerade solche Menschen, für die man etwas schaffen möchte, an die man glauben möchte. Ihre Herzen brennen, und sie haben keine Angst, das zu zeigen.
Die Arbeit begann mit einem Casting. Und da waren sie schon – unsere wunderbaren jungen Frauen und Männer. Ich verbrachte mit ihnen zwei intensive Tage, an denen wir Schreibübungen gemacht haben. Diese Übungen waren darauf ausgerichtet, Themen und Motivation zu finden sowie das Wesentliche aus der sie umgebenden Welt herauszufiltern und in Texte zu übertragen. Wir haben Theatertexte überarbeitet und verfeinert, dabei viel experimentiert, das war ein entscheidender Abschnitt, um unseren Weg und unseren Ansatz zu finden. Diese Suche half mir zu verstehen, worüber wir nachdenken sollten, was für uns und diese jungen Menschen wirklich von Bedeutung ist. Während der Proben wurden viele Dinge weiterentwickelt, ergänzt und angepasst. Wir haben viel experimentiert, Lösungen gesucht und unterschiedliche Ansätze ausprobiert. Der gesamte Prozess war voller Kreativität, Entdeckungen und Inspiration. Und ich glaube aufrichtig, dass die jungen Menschen, mit denen wir gearbeitet haben, ihn wirklich besonders gemacht haben.

 

 

Worin lag für dich ein besonderer Reiz?
 

Einen großen Beitrag dazu leistete der Regisseur Stas Zhirkov, der fantastisch mit Schauspieler:innen arbeiten kann. Er schaffte es, eine völlig unerwartete szenische Lösung für meinen Text zu entwickeln. Wahrscheinlich hätte ich den Text eher traditionell geschrieben, aber seine Interpretation überraschte mich.
Außerdem führt die Arbeit mit solchen Themen – schweren und komplexen – unvermeidlich zu Fragen, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt. Es ist ein Prozess der Suche nach etwas Grundlegendem, nach etwas, das in der Natur der Dinge verborgen liegt. Manchmal ähnelt das einer Magie, die alles auf den Kopf stellt. Und in diesem Prozess findet man plötzlich etwas Reales, etwas, das direkt vor einem liegt und dennoch durch seine greifbare Realität erschreckt. Diese neue Welt, die sich vor unseren Augen zu entfalten scheint, erfüllt einen mit Ehrfurcht. Es ist eine Welt, die alles verändert. Wir wissen noch nicht, ob wir lernen können, damit zu leben. Und genau dieses Gefühl – eine Mischung aus Angst und Bewunderung – hat mich tief berührt.

Es ist ein Prozess der Suche nach etwas Grundlegendem, nach etwas, das in der Natur der Dinge verborgen liegt.

In deiner Fassung reflektieren die Spieler:innen immer wieder ihre Positionen und loten aus, ob das, was sie spielen, auch zu ihnen passt. 

 

Ja, genau hier, in diesen Momenten, in denen die Schauspieler:innen aus ihren Rollen heraustreten und über ihre Charaktere hinausgehen, entsteht etwas Besonderes. Wenn der/die Schauspieler:in als Persönlichkeit in die Figur einfließt, wird daraus etwas Lebendiges und Echtes, das über die Erwartungen hinausgeht, die in die Rolle gelegt wurden. Solche Arbeit ist nur möglich, wenn der/die Schauspieler:in nicht nur ein:e Darsteller:in, sondern auch eine reflektierende Persönlichkeit ist.

 

Eine weitere reflexive Ebene hast du durch Meldungen in Newsrooms eingebracht, sodass die Zuschauer:innen über die Ränkespiele informiert bleiben. Was hat es damit auf sich?

 

Was das Thema Nachrichten betrifft, habe ich bereits oben über Magie gesprochen – darüber, was alles auf den Kopf stellen kann. Bei Shakespeare in "Macbeth" sind es die Hexen, die Zauber wirken und Schicksale verändern. Ich habe versucht, diese Hexen durch Nachrichten zu ersetzen. Ob gefälscht oder echt, Nachrichten werden zu einem Instrument, das eine parallele Realität schafft. Sie formen unsere Wahrnehmung der Welt oder erschaffen diese Welt sogar. Einer der Charaktere im Stück sagt: "Es ist nicht so wichtig, was passiert – wichtig ist, wie wir es interpretieren."


Ich glaube, genau das ist unsere Zeit – das Zeitalter der Post-Wahrheit, in dem Realität und ihre Interpretation miteinander verschmelzen. Dieser Gedanke hat mich während der Arbeit an diesem Stück tief berührt und beunruhigt. Vielleicht ist das eine der zentralen Deutungen Shakespeares für unsere moderne Welt, die Welt, in der wir hier und jetzt leben.