Was hat sie dazu bewogen, dieses Stück zu schreiben?
Das Stück ist aus dem Gefühl entstanden, dass wir seit der Zeit nach der Pandemie alle so tun, als wären wir zurückgekehrt in "die Normalität", wie wir sie vorher kannten, dabei ist in uns als Menschen grundsätzlich etwas kaputt gegangen, als Gesellschaft und auch als Individuen. Ich habe versucht, das in diesem Stück einzufangen, aber das, was ich da beschreiben wollte, ist etwas, das sich entzieht, sich nicht einfangen lässt. Wahrscheinlich können wir in 20 Jahren mit mehr Klarheit über das Ganze schreiben.
Welche Rolle spielen die Lockdown-Erfahrungen? Was haben diese Ihrer Beobachtung nach mit Menschen gemacht?
In jedem Teil der Gesellschaft, in jeder sozialen Interaktion gibt es eine leichte Verschiebung. Ich denke, das hat mit dem Zeitalter der Informationsüberflutung begonnen. Die ist zwar nicht neu, wurde aber auf eine gewisse Weise durch die Lockdowns noch verstärkt. Wir alle sind durch das Gefühl großer Unsicherheit gegangen und stellten dabei wahrscheinlich alles in Frage, was für uns mal selbstverständlich war, vor allem das Vertrauen in Institutionen und den Glauben an eine gewisse soziale und weltweite Ordnung. Bei den Menschen aus meiner Region hat es wahrscheinlich auch ein lange schlafendes und nie vollständig verarbeitetes Trauma aus den neunziger Jahren wachgerüttelt. [Gemeint sind u.a. die Erfahrungen mit den Kriegen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, die von 1991 bis 2001 geführt wurden und mit dem Zerfall des Staates verbunden waren. Anm. der Red.] Überall gibt es exponentiell wachsende Berge an Informationen, aber nirgendwo wirklich verlässliche Antworten. Aber einige von uns stolpern über Antworten, die irgendwie einen tiefen Nerv treffen, und nageln sich dann daran fest wie an ein Kreuz, klammern sich daran wie an eine Religion. Ich denke, das vorherrschende Gefühl im Moment ist das einer grundsätzlichen Verunsicherung – und das zeigt sich auf verschiedenste Arten und Weisen.
Die Soziologie beschreibt eine schleichende und stetig zunehmende Zersplitterung der Gesellschaft bereits seit den 60er-Jahren, die damit verbundene Verstärkung verschiedener Formen von Ungleichheit und den abnehmenden Gemeinsinn …
… ja, all diese Entwicklungen, die wir miterleben, sind nicht neu, aber das kollektive Trauma hat sie wohl noch einmal verschärft. Ich habe den Eindruck, dass wir es in unseren Welten mit einem ständigen Spannungsfeld zwischen Mikro- und Makroebenen zu tun haben, ohne dass es uns bewusst ist. Wie entscheidet man tagtäglich, welches der Weltprobleme die meiste Aufmerksamkeit, Energie und Empathie verdient? Was tun wir gegen diese Probleme? Und sind unsere kleinen persönlichen Dramen trotzdem Dramen, die die gleiche Aufmerksamkeit verdienen? Oder mehr? Oder weniger? Unser Leben spielt sich heute in einer viel größeren Arena ab als je zuvor, abhängig vom digitalen Fußabdruck jedes Einzelnen, und dennoch sind diese Arenen allesamt bloße Echokammern und völlig irrelevant oder sogar falsch selbst für jemanden, der uns so nah ist wie unser Nachbar oder unsere Geschwister.
"Die Verstreuten" in Ihrem Stück scheinen nicht mehr gut darin zu sein, mit einem Gegenüber in Dialog zu treten, stattdessen verlieren sie sich in Monologen und kreisen vor allem um sich selbst.
In den letzten Jahren wird so viel über Gefühle diskutiert, dass sich das natürlich darauf auswirkt, wie Menschen jetzt kommunizieren. Es ist alles so höflich und voller netter Plattitüden, aber ich glaube, es war noch nie so einfach wie heute, Menschen vor den Kopf zu stoßen, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie irgendwie ungerecht behandelt würden, oder unter Beschuss stünden. Das ist doch interessant, wenn man bedenkt, dass es gleichzeitig Kriege und eklatante Ungleichheit gibt und im öffentlichen Diskurs mit Phrasen wie "den Dritten Weltkrieg riskieren" um sich geworfen wird.
Wir alle verfügen über ein beachtliches Vokabular, um über unsere innere Verfasstheit zu sprechen, über unsere emotionale Intelligenz und die verschiedensten Traumata, die uns prägen. Viele Menschen sind heute in der Lage, sich außergewöhnlich wortgewandt über alle möglichen Begriffe und Phänomene auseinander zu setzen und wir fühlen uns auch dazu aufgerufen darüber zu sprechen, was wahrscheinlich mit dem performativen Wesen der heutigen Welt zusammenhängt.
Und trotzdem scheint es uns nicht vom Unglücklichsein, von Verwirrung und Elend zu befreien. Letztlich sind wir hoffnungslos gefangen in der kapitalistischen Falle, die uns Glück und Erfolg als rein individuellen Erfolg oder individuelles Versagen verkauft.
Welche Rolle spielt die digitale Kommunikation?
Die wahrscheinlich größte Folge der digitalen Kommunikation ist der Verlust von Fokus. Ein Zusammenbruch der Konzentration, der zur Norm wird. Eine Sucht nach einem Gerät, die völlig normal geworden ist. Wir befinden uns immer in mindestens zwei Realitäten gleichzeitig, in unserer physischen Realität und in einer – oder mehreren - anderen, in die wir durch unsere Geräte hinein gesogen werden. Wir können bei unseren Familien oder Freunden sein – auf einer Hochzeit, einer Beerdigung – aber gleichzeitig sind wir auch in unseren jeweils eigenen Welten.
Die Welt erlebt einen Rechtsruck. Die einzige Figur im Stück, die Orientierung und einen klaren Weg durch die krisenbehaftete Welt gefunden zu haben scheint ist diejenige, die sich für den ideologischen Rückschritt entschieden hat und unter anderem im völkischen Denken ihr Heil sieht. Haben die anderen Figuren den Kampf gegen rechts bereits verloren?
Ich weiß nicht, ob wir schon verloren haben. Es wird noch gekämpft. Dabei ist es nicht hilfreich, dass es keine klare Trennung mehr zwischen links und rechts gibt, dass viele rechte Parteien eine Wirtschaftspolitik übernehmen, die traditionell mit der Linken assoziiert wird. Die Welt ist einfach unendlich komplex. Sie ist einfach so - und zunehmend enttäuschend, beängstigend und ungleich. Und wir sehnen uns nach einfacheren Lösungen, nach konkreten Versprechen. Ich meine, wir wissen, wie das läuft. Das ist nicht neu. Aber was ich interessant finde, ist, dass die momentane Annäherung an die rechte Weltanschauung manchmal über ganz ungewohnte Ecken verläuft. Wir reden hier von einer Weltsicht, die sich letztlich auf eine soziale, ethnische und geschlechtliche Hierarchie und auf strenge traditionalistische Normen stützt, die im Endeffekt gewaltsam durchgesetzt werden sollen. Und diese konservative Weltsicht finden wir heutzutage zunehmend auch an Orten, an denen wir sie nicht erwartet hätten, wie in der Welt von Wellness, Gesundheit, Wohlbefinden und Co.
Was ich zu untersuchen versuche, ist, wie leicht es heutzutage für uns alle ist, mit unseren individuellen Informationsquellen in einem radikalen Rabbithole zu landen. Viele konservative Online-Influencer verwenden eine Rhetorik, die zunächst sehr vernünftig klingt und an das Gefühl appelliert, dass wir alle teilen: viele Dinge in der Gesellschaft sind kaputt, wir müssen etwas tun. Aber wenn man ihnen folgt, kommt man schnell an einen Punkt, an dem ökonomische Gleichheit sowie Wahl- und Entscheidungsfreiheit wie unrealistische Wertvorstellungen wirken. Und das Ganze kann mit sowas Harmlosem wie einer bodenständigen Kochshow beginnen. Der Weg zur Radikalisierung hat sich verändert – seine Fassade ist heutzutage viel attraktiver.