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Es ist der Abend vor der Premiere. Die Generalprobe des "Nackten Wahnsinns" ist in vollem Gange und das Ensemble macht dem Titel alle Ehre: Nichts funktioniert, der Text sitzt noch nicht und die Sardinenteller stehen immer dort, wo sie gerade nicht hingehören; der Regisseur ist am Rande des Nervenzusammenbruchs, die Produktionsleiterin hat seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen. Und ständig muss man sich auch fragen: Will und kann man das so noch spielen? Immerhin stammt das Stück aus den 80ern!
Frayn bringt in seiner Komödie die gängige Theaterformel "Menschen mit Nöten treffen aufeinander" auf den Höhepunkt. Das Ringen um Ordnung, die Notwendigkeiten des Weitermachens und der Routine; das In-der-Rolle-bleiben solange es geht – im Theater wie im Leben: "Morgen ist Premiere, wir hatten nur vierzehn Tage zum Probieren, wir wissen überhaupt nicht, wo’s langgeht, aber mein Gott, seien wir ehrlich, wer weiß das schon."
Oliver Reese ist seit 2017 Intendant des Berliner Ensembles und inszeniert auch selbst. Zuletzt u.a. die deutschsprachige Erstaufführung von Marius von Mayenburgs "Ellen Babić", den Brecht-Liederabend "Fremder als der Mond" sowie Thomas Bernhards "Der Theatermacher".
„Ich vermisse die Gewalt.“
Theater spiegelt das Leben: die Komödie den Kampf mit den alltäglichen Umständen, die Farce das Gefangensein in denselben. Darin ähnelt Michael Frayns "Der nackte Wahnsinn" (1982) Thomas Bernhards "Theatermacher" (1984), den Regisseur und Intendant Oliver Reese 2022 auf die Bühne des Berliner Ensembles brachte. Beide handeln von Menschen, genauer: Theaterschaffenden, die sich mit all ihren Unzulänglichkeiten, Charakterschwächen und mit aller Gewalt versuchen, eine Welt gefügig zu machen, in der sie ihren Platz nicht mehr finden. Sie kämpfen gegen das "No Future" und die verwaltete Zukunftslosigkeit der 1980er Jahre an, die heute – nicht nur modisch – wieder angesagt sind.
Bernhards bittere Komödie wie auch Frayns überdrehte Farce spiegeln darin unser aller Sehnsucht und unser aller Kampf gegen die Zumutungen des Lebens wider – weil wir uns mehr mit den Requisiten abplagen, als die Umstände in Frage zu stellen. Das offenbart eine sublime Gewalt, die sich stets gegen sich selbst und die nächsten richtet, weil sie keine Mittel gegen das System findet. "Ich vermisse die Gewalt", sagt der alternde Einbrecher im "Nackten Wahnsinn" einmal, und offenbart eine Hilflosigkeit und einen Schmerz, der hinter dem Lachen über die völlig missglückte Generalprobe liegt. Aber vielleicht ist es gerade dieses Lachen, das uns zumindest für einen Moment vom Schmerz erlöst.
Von Johannes Nölting
- Kathrin Wehlisch als Mrs. Clackett
- Marc Oliver Schulze als Roger Trampelmain
- Lili Epply als Vicky
- Peter Moltzen als Philip Brent / Scheich
- Constanze Becker als Flavia Brent
- Wolfgang Michael als Einbrecher
- Gerrit Jansen als Regisseur
- Nina Bruns als Regieassistentin
- Joyce Sanhá als Produktionsleiterin
- Peer Neumann als Live-Musik
- Oliver Reese Regie
- Hansjörg Hartung Bühne
- Elina Schnizler Kostüme
- Jörg Gollasch Musik
- Steffen Heinke Licht
- Johannes Nölting Dramaturgie