Opheliamaschine

Von Magda Romanska
Aus dem Englischen von Theresa Schlesinger
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1979, mitten im Kalten Krieg, steht Hamlet in Heiner Müllers so radikaler wie epochaler Shakespeare-Paraphrase "Hamletmaschine" am Scheideweg zwischen den Systemen, aufgerieben von erstarrten Ideologien und abgestumpft von Brutalität und Geistlosigkeit. 2022, über vierzig Jahre später, nimmt Ophelia seinen Platz ein. In Magda Romanskas postdramatischer Antwort auf Müller versucht sie als Autorin der eigenen fragmentierten Geschichte, als Liebende und Wahnsinnige, auf einem Schuttberg westlicher Werte und Waren, die Kontrolle über das Narrativ zu übernehmen. Kein ganz einfaches Unterfangen: Schließlich ist Ophelia in eine der wohl berühmtesten dysfunktionalen Herrscherfamilien der Dramengeschichte geraten, in der die Rollenzuschreibungen unumstößlich fixiert scheinen, ihre Beziehung mit dem Dänenprinzen asymmetrisch und deren tragischer Ausgang lange bekannt ist. In "Opheliamaschine" gibt Romanska, amerikanische Schriftstellerin mit polnischen Wurzeln, dem weiblichen Blick auf eine komplexe und doch verstörend traditionsverhaftete Welt Raum. Sie zeichnet so assoziativ wie pointiert die Mechanismen patriarchaler Strukturen in Beziehungen nach und nimmt dabei gezielt die Verletzlichkeit von Körper und Geist in den Fokus.

Mit "Opheliamaschine", inszeniert von der litauischen Regisseurin Uršulė Barto, startet WORX, das neue Regieförderprogramm des Berliner Ensembles. Zusammen mit Fritzi Wartenberg wird Barto ein Jahr das Repertoire im Werkraum gestalten.                 

400 Jahre als "supporting act" sind genug: "Hamlet, mein Schatz, ich möchte nicht mit dir oder mit ihr identifiziert werden". Dieser erste, so lakonisch klingende Satz, den Magda Romanska ihre Titelfigur in "Opheliamaschine" sprechen lässt, markiert den Ausbruchsversuch aus einer doch unauflösbaren Verbindung und der ihr zugewiesenen Rolle. Gibt es eine Ophelia ohne Hamlet? Beide sind durch die Tragödie des Dänenprinzen, die nicht weniger ihre eigene Tragödie ist, in der Wahrnehmung aneinander gekettet. Die damit verbundenen Zuschreibungen hat John Everett Millais in seinem berühmten Gemälde der auf dem Wasser treibenden Ophelia auf ikonographische Weise festgehalten, um nicht zu sagen zementiert.

Heiner Müller lässt in seiner so radikalen wie epochalen Shakespeare-Paraphrase "Hamletmaschine" die Hauptfigur als sein Alter Ego schon 1977 mit "Ich war Hamlet" aus der Rolle fallen – am Scheideweg zwischen den Systemen, aufgerieben von erstarrten Ideologien und abgestumpft von Brutalität und Geistlosigkeit. In "Opheliamaschine" hat die Titelfigur nun als Autorin ein Zimmer für sich allein erobert. Ihrem rauschhaften Schreiben entspringen acht Monologe, in denen sie mit Härte und Selbstironie gegen traditionelle Rollenbilder anschrei(b)t und die Komplexität und Widersprüchlichkeit ihrer Position als Frau, Liebende und Intellektuelle darlegt. Und das sowohl auf der Ebene des ewigen Hamlet-Dramas als auch im Hier und Jetzt.

Aber so schonungslos und klar die Analyse Ophelias auch ausfallen mag, so gering erscheint ihre Hoffnung auf Veränderung. Der Grad der Abstumpfung hat im globalen Medienzeitalter neue Dimensionen erreicht; kapitalistische Logik, Patriarchat und männliche Gewalt (wie zu Müllers Zeiten herrscht Krieg in Europa) bedrohen unvermindert den weiblichen Körper und Geist. Und die gesellschaftlichen Beharrungskräfte sind enorm. Ob Ehefrau und Mutter, Krankenschwester oder Sexobjekt – Ophelias Alptraum umfasst in Romanskas Collage alle möglichen traditionellen Zuschreibungen, die nicht vergehen wollen. Ihr Zwiespalt, zwischen dem Wunsch rspektiert und dem begehrt zu werden, bleibt unüberbrückbar. Die Erlösung liegt, wie bereits 400 Jahre zuvor, in der Entscheidung, dem ein Ende zu machen, diesmal jedoch zusammen mit ihrem Partner. Zugegeben ein wenig hoffnungsvoller Ausblick. Bei Romanska hat Hamlets Mutter Gertrude zumindest keine Gelegenheit mehr, dieses Ende schönzufärben. Und die Opferrolle hat Ophelia auch abgestreift.

Jan Stephan Schmieding

 

MIT Hilke Altefrohne, Nina Bruns, Max Diehle

REGIE Uršulė Barto

BÜHNE & KOSTÜM Katja Pech

MUSIK Yuliia Vlaskina

VIDEO Greta Markurt, Luna Zscharnt

DRAMATURGIE Jan Stephan Schmieding

WORX

Nachwuchsförderprogramm

WORX wird ermöglicht durch die private Förderung von Nikolaus und Martina Hensel.