Begeisterungsfähigkeit als Türöffner

Mit der Adaption ihres Buchs "Pick me Girls" schafft Sophie Passmann den Spagat zwischen Pop- und Hochkultur. Ausgehend von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen spannt sie in ihrem Soloabend einen Bogen, der Momente des Wiedererkennens und der Verbindung schafft. Wir haben Sophie Passmann zum Interview getroffen. 

Sophie Passmann und Inke Johannsen | 08.11.24

© Jörg Brüggemann

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Liebe Sophie, wie bekommt dir die Theaterluft bisher?

Es ist natürlich wahnsinnig aufregend und es war ganz toll, das Stück mit allen zu erarbeiten. Heute ist die erste Aufführung, die nicht in dieses Premierenkonglomerat fällt, denn meine zweite Aufführung war am Tag nach der Premiere. Das war noch alles very much part of it. Ich bin eben losgefahren und dachte mir: „Das fühlt sich jetzt richtig an wie Arbeit, wenn man so abends einen Termin hat.“ Bis mir aufgefallen ist, dass das ja meine Arbeit ist. Auch wenn es wahnsinnig Spaß macht. Ich habe jetzt noch größeren Respekt vor hauptberuflichen Theaterschauspieler:innen: Gar nicht so einfach, immer diese Spannung herzustellen, die man braucht, um sich auf die Bühne zu stellen. 

 

Wie stellst du diese Spannung her? Musst du dich vorbereiten oder hast du so etwas wie eine innere Rampensau?

Also wenn ich die Wahl zwischen auftreten und nicht auftreten hätte, würde ich sofort nicht auftreten. Aber ich habe eine innere Arbeitsmoral. Das klingt jetzt wahnsinnig unsexy, als würde es mir keine Freude bereiten. Aber ich kann mich viel besser mit dem Gedanken, dass sich die Leute extra Tickets gekauft und den Abend freigehalten haben, auf diese Bühne bringen und versuchen, was Tolles zu machen. Die haben Freund:innen, mit denen sie sich treffen könnten, abgesagt, um hier hinzugehen. Und dann ist das Mindeste, dass ich mir Mühe gebe. Und das klappt viel besser als eine innere Rampensau. 

 

"Pick me Girls" ist im September letzten Jahres erschienen, für das BE hast du dein Buch für die Bühne adaptiert. Wie war die Arbeit an der Fassung für dich?

Das Schreiben für das Theaterstück fiel mir deutlich leichter, was damit zu tun hat, dass es ja schon bestehenden Stoff gab, den ich umschreiben musste. Ich finde Umschreiben immer einfacher als Neuschreiben. Das ist jetzt auch kein total radikaler Gedanke. Ich habe mit dem Schreiben für die Bühne angefangen. Mit 15 bin ich bei Slams aufgetreten und Schreiben für Performance zum einen und zum anderen das Schreiben fürs Hören und nicht fürs Lesen, das liegt mir eigentlich näher und fällt mir leichter. Ich hatte aber auch dieses gute Gefühl zu wissen, dass es ja noch wochenlange Proben gibt, bevor ich auf die Bühne „geschubst“ werde. Und einen Dramaturgen und eine Regisseurin und ein ganzes Team, die alle ihre Meinung dazu sagen und mir im Zweifel helfen.

Was macht der Live-Moment dann mit dir?

Das Haus und der Saal hier verlangen mir definitiv mehr Konzentration ab als andere Live-Momente, weil der Saal ganz beeindruckend den Fokus auf die Bühne erlaubt. Es gibt Säle und auch Theatersäle, in denen ich aufgetreten bin, wo es eher so ist, dass das Publikum auch Teil von allem ist. Und ich sag mal so: Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Mister Bertolt Brecht hier so wichtig war, mal die Vierte-Wand-Geschichte aufzumachen. Denn wenn man sich nicht darauf fokussiert, dass da wirklich Leute sitzen, kann man es tatsächlich vergessen, wenn der Saal während der Vorstellung komplett dunkel ist. Umso mehr macht eine Zwischenreaktion wie Gelächter oder Betroffenheit etwas mit mir. Wobei man Betroffenheit natürlich nicht hört. 

 

Wobei die Momente der Betroffenheit im Publikum stark spürbar waren. 

Ja, aber ich habe da kein Ohr für gehabt auf der Bühne. Ich bin nach der Premiere von der Bühne gegangen und dachte, ich habe die Leute nicht recht bekommen. Aber dann kamen Leute zu mir, die im Saal waren, und meinten, dass auch geweint wurde. Das habe ich da weder gesehen, noch gehört. Deswegen: Könnt ihr bitte lauter weinen? (lacht)

 

Durch dieses gemeinschaftliche Fühlen und deine Interaktion mit dem Publikum entsteht eine totale Nahbarkeit, die man im Theater nicht häufig erlebt. 

Da tut es mir vielleicht gut, dass ich mich gar nicht so viel auskenne mit Theater. Ich wollte das einfach so machen, wie ich dachte, dass es am besten für den Abend ist und ich mir erlaube mir, nicht so sehr in Format-Kategorien zu denken. Es ist risikoreich, das so zu machen, wenn man Angst davor hat, kritisiert zu werden, weil man sich dann in jede Richtung angreifbar macht: Es ist kein richtiges Theaterstück, ist kein richtiger Stand-up-Abend. Es ist nicht richtig politisch, ist auch nicht unpolitisch und man weiß, dass jeder, der einem daraus einen Strick drehen möchte, daraus einen Strick drehen kann. Aber mir ist wichtiger, dass ich unabhängig davon da rausgehe und weiß, es war witzig und unterhaltsam. Ich habe eher im US-amerikanischen Sinne, wo diese Unterscheidung nicht so stattfindet, versucht, den Stoff, den ich habe, möglichst wirksam und dann eben auch mit Pathos oder mit Humor auf die Bühne zu bringen.

 

Mit dieser Haltung gelingt es dir sehr gut, die Popkultur in die Hochkultur zu bringen und Menschen anzusprechen und abzuholen. 

Genau das versuche ich! Ich habe das riesige Privileg, dass ich hier am Haus Narrenfreiheit vom Intendanten bekommen habe. Das ist ein Privileg, das man nicht unbedingt hat und Popkultur in der Hochkultur unterzubringen ist etwas, das man sich erlauben können muss. Ich bin sehr dankbar, dass ich das kann und darf. Ich würde mir wünschen, dass das in Deutschland öfter passiert, weil ich finde, dass Hochkultur ein riesiges Nachwuchsförderungs- und Erfolgsproblem hat und das ist auch eine sehr aktuelle Debatte hier in Berlin. Wir werden nicht drumherum kommen, uns damit abzufinden, dass Hochkultur zu sperrig und teilweise zu hoch ist, um weiterhin den Erfolg zu haben, den sie früher hatte. Das finde ich auch frustrierend. Aber ich finde es auch klassistisch, diese Unterscheidungen so hart zu treffen. Ich freue mich über jeden, der Freude an diesem Abend hat. Gerade weil es ein Abend ist, auch für Leute und vor allem für Leute, die in ihrem Leben vielleicht nur ein halbes Kapitel aus einem feministischen Buch gelesen haben.

© Jörg Brüggemann

Bei der Premiere ist mir aufgefallen, dass das Publikum sehr jung und weiblich (gelesen) war, viele waren allein in der Vorstellung, haben sich derweil oder kurz danach kennengelernt und zusammengeschlossen. Da passiert gleich mehreres: Du scheinst Mut zu machen, sich allein in ein Event zu begeben. Und dein Publikum mag sich miteinander vernetzen. Wie schaffen wir diese Verbindungen auch im Alltag?

Ich glaube, ein Schritt, der uns dabei immer im Weg steht in dieser weiblichen Verbindung, ist Männer als Zentrum unseres Lebens sowohl romantisch als auch beruflich als auch platonisch zu betrachten. Das anders zu machen, ist leichter gesagt als getan, denn Männer sind unsere Chefs und wir sind verliebt in Männer und Männer sind unsere Väter. Es geht auch gar nicht darum, diese Männer aus dem Leben zu schmeißen. Das wäre völlig utopisch, das zum Ziel von Feminismus zu machen. Aber man kann sich Gedanken machen, was man macht, um den Männern im eigenen Leben zu gefallen und sich die Frage stellen: Worauf kann ich gerade verzichten oder wo bin ich bereit, Abstriche zu machen, was meine akute Lebensqualität angeht? Es ist eben meistens erst mal einfacher, in so einem System Männern zu gefallen als ihnen nicht zu gefallen. Wenn man sich die Frage so beantwortet, dass man zwischendurch eher versucht, auf sich selbst, andere Frauen und auf Menschen, die nicht die Gewinner dieser Gesellschaft sind, zu achten, dann ist man, glaube ich, schon einen großen Schritt dieser Schwesternschaft näher. 

Für mich ist Begeisterungsfähigkeit immer ein großer Türöffner bei anderen Frauen. Das kann für jede Frau etwas völlig anderes sein, aber darüber kann man ins Gespräch kommen. Ich glaube, dass ein ganz großes, wirkmächtiges Instrument des Patriarchats ist, Frauen in unterschiedlichen Generationen auf unterschiedliche Weisen händelbar zu halten, indem man, um mal kurz pathetisch zu werden, eine Flamme in ihnen nicht entfacht. 

Und es betrifft alle Generationen, dass Frauen gesellschaftlich daran gehindert werden, ihre Leidenschaften zu verfolgen, zum Beispiel weil der Genie-Begriff ein rein männlich geprägter ist. Oder weil von Frauen verlangt wird, sich um ihr Umfeld zu kümmern, umgänglich zu sein, sanft zu sein, nicht so viel Arbeit zu machen, hot zu bleiben - all das macht es für Frauen natürlich schwerer, in ihrer Begeisterungsfähigkeit an andere Frauen anzudocken. Und ich glaube, das wäre für jede Frau toll, sich zu fragen: Wofür brenne ich? Auch unabhängig davon, ob es einem Mann gefällt oder es das eigene Leben einfacher macht. Das sind vermeintlich banale Dinge. Ich persönlich liebe Mode, das kann bei einer anderen Frau etwas ganz anderes sein. Aber ich connecte mit anderen Frauen über Mode oder auch Literatur oder Kunst oder etwas ganz anderes. Und dann hat man auf einmal einen Schritt gemacht in das Leben einer anderen Frau und das könnte der schöne Beginn von etwas ganz Großem sein.

 

Apropos schöner Beginn. Gleich beginnt deine Vorstellung, hast du ein Ritual?

Ja, ich höre vor jedem Auftritt "You’re On Your Own, Kid" von Taylor Swift. Nicht nur im Theater, sondern bei jedem Auftritt und das, seit der Song rausgekommen ist. 

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