WORX

"Mit jedem Widerstand verschwindet ein Stück Angst"

Ein Gespräch mit WORX-Regisseur Alireza Daryanavard über seine Arbeitspraxis, seine beiden Inszenierungen am Berliner Ensemble und die Themen, die ihn im Theater antreiben.

Lukas Nowak | 23.01.24
Alireza Daryanavard im Gartenhaus des Berliner Ensembles, hinter ihm Bilder an einer Wand und ein Umzugskarton

© Moritz Haase

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Deine Arbeitspraxis ist stark vom politischen Aktivismus geprägt. Wie hat Dich das beeinflusst, auch im Bezug auf Deine erste Arbeit hier am Berliner Ensemble?

 

Theater oder Performancekunst ist für mich zunächst ein Medium, das ich nutze, um Themen aufzumachen und einen Raum zu öffnen, in dem man sich mit politischen oder gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt. Darauf basiert meine künstlerische Arbeit. Die Abende, die ich inszeniere oder veranstalte, sind eine Mischung aus aktivistischen Inhalten und Themen, die marginalisiert sind. Ich versuche, dies dann in eine künstlerische Form zu übersetzen, so dass am Ende ein Theaterabend entsteht, ein geschützter Raum, in dem Kunst stattfinden kann.

Hier am Berliner Ensemble an „Chronik der Revolution“ zu arbeiten war eine sehr gute und auch wichtige Erfahrung für mich, bei der ich vieles gelernt habe, auch inwiefern es anders ist, einmal nicht mit meinem eigenen Kollektiv zu arbeiten. Mein Fokus bei dieser Arbeit lag mehr darauf, vor allem einen theatralen Abend zu schaffen, anstatt einen aktivistischen – auch wenn für mich beide Ansätze wie Geschwister sind. 

Bei dem Theater, wie ich es für mich definiere, ist Aktivismus immer ein wichtiger Teil, eine Haltung, die alle meine Arbeiten durchzieht, auch wenn keine Aktivist:innen auf der Bühne sind. Die Erfahrung hier war auch insofern interessant, weil ich mit einem Team gearbeitet habe, was zu den Geschichten, die auf der Bühne erzählt werden, keinen direkten biografischen Zugang hat. Den Prozess und die Beschäftigung mit dem Thema von genau da aus zu starten, die vielen Geschichten, die ich während den Proben erzählt habe und die Diskussionen darüber, das war für mich eine neue Erfahrung, aber auch die schönste am ganzen Prozess! 

Der Abend zeichnet eine Art „Chronik“ über die Revolutions- und Protestbewegungen in Iran der letzten 120 Jahre. Wie entstand die Idee, zusammen mit der Autorin Mahsa Ghafari eine solche Chronik zu erzählen?  

 

Mit Masha Ghafari arbeite ich seit vielen Jahren zusammen. Wir waren gemeinsam auf der Suche nach einer Erzählform, mit der man auf der Bühne gewisse Sachen in aller Klarheit erzählen kann und man nicht abgelenkt wird von einer, ich sage mal, eher poetischen oder literarischen Sprache. Uns war es wichtig rüberzubringen, dass es gewisse Dinge gibt, über die einmal Klartext gesprochen werden muss und die letzten Jahre haben für mich auch bewiesen, dass es das braucht.

Am Anfang von „Chronik der Revolution“ sagt die Schauspielerin Corinna Kirchhoff, dass wir alle nur sehr lückenhafte Informationen über die Geschehnisse im Iran haben – und das trotz der großen medialen Präsenz! Nie gab es mehr Öffentlichkeit für die iranische Freiheitsbewegung wie seit „Frau Leben Freiheit“. Aber diese Bewegung ist ja nicht einfach im luftleeren Raum entstanden, sondern hat eine Geschichte. 

So entstand der Wunsch, eine solche Chronik zu schreiben. Um den Widerstand der Bevölkerung zu zeigen, den Widerstand von Millionen von Iraner:innen, die seit über 100 Jahren für ihre Grundrechte kämpfen – für Demokratie, für Säkularismus und eine freie Gesellschaft mit der Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Der Abend gibt einen Überblick, wie Menschen in einem Land andauernd Widerstand leisten und immer wieder vom Regime massakriert werden, während die ganze Welt einfach zuschaut.  

© Moritz Haase

Widerstand "im Loop"

Und inwiefern sind Deine eigenen Erfahrungen als iranischer Theatermacher in diese Chronik mit eingeflossen? 

 

Ich als jemand, der im Iran aufgewachsen ist, habe viele Dinge, die auf der Bühne geschildert werden, selbst miterlebt. Es gibt viele Szenen an dem Abend, die zu 90% meine eigenen Erfahrungen beschreiben. Ich habe für „Chronik der Revolution“ versucht, Dinge, die ich selbst erlebt habe, aus einer historischen Perspektive zu beschreiben. Ich wollte zeigen, dass das nicht nur meine Erfahrungen sind, sondern eine kollektive Erfahrung von Millionen von Iraner:innen meiner Generation. Es gibt auch viele Kommentare auf historische Ereignisse an dem Abend, die aber sehr persönlich eingefärbt sind. Das war für mich neu, denn wenn ich dokumentarisch arbeite, versuche ich normalerweise, halbwegs neutral zu bleiben. Doch für „Chronik der Revolution“ war es mir wichtig, die Geschichte Irans aus der Perspektive der jungen Generation zu erzählen. 

"Die Generationen wechseln, aber der Widerstand wird weitergegeben." Alireza Daryanavard

Während des Abends fällt der Satz: „Jetzt haben alle lebenden Generationen ihren eigenen Widerstand erlebt, das bildet das kollektive Gedächtnis der Iraner:innen“. Was hat es mit diesem kollektiven Gedächtnis und dieser Verbindung der unterschiedlichen Generationen auf sich? 

 

Dieser Satz ist gerade auch aus einer Perspektive von außen interessant, etwa wenn man sich fragt, wie es sein kann, dass 14-jährige Mädchen sich entscheiden, anstatt zur Schule auf die Straße zu gehen – im vollen Bewusstsein darüber, dass sie dafür erschossen werden können. Wenn man sich die Widerstandsbewegungen in Iran anschaut, dann ist es immer wieder die junge Generation, die auf die Straße geht. Es ist wie eine Art „Loop“, eine Wiederholung, die in jeder Generation stattfindet. Man kann sagen, dass jede Generation immer wieder ihre Pflicht vor die eigenen Bedürfnisse stellt und Widerstand leistet. Die Generationen wechseln, aber der Widerstand wird weitergegeben. 

Die Eltern der jungen Menschen, die heute für „Frau Leben Freiheit“ auf die Straße gehen, waren selbst schon als sie jung waren auf der Straße. Die Weitergabe dieses Kampfes von Generation zu Generation ist ganz zentral. Deswegen geht es in „Chronik der Revolution“ auch so viel um die verschiedenen Generationen, die „verlorenen Generationen“, wie sie während des Abends genannt werden. 

Auf Farsi ist „verlorene Generation“ übrigens ein feststehender Begriff und meint alle Generationen, die schließlich aufgehört haben zu kämpfen, weil sie mit Gewalt unterdrückt wurden. Auch die jetzige Generation soll gewaltvoll unterdrückt werden. Das darf man nicht vergessen: Jugendliche werden auf der Straße geschlagen, festgenommen, erschossen, vergewaltigt. Das sind keine Kleinigkeiten, die die Menschen wieder vergessen werden. Ein 13-Jähriger wird, was er auf der Straße erlebt hat, nicht vergessen, auch wenn er irgendwann älter ist und vielleicht selbst Kinder hat. 

Der Widerstand wird von Generation zu Generation weitergegeben – oder wie es im Stück heißt: „Mit jedem Widerstand verschwindet ein Stück Angst, wächst die Wut, wächst der Mut.“

© Moritz Haase

Für „Chronik der Revolution“ war es Dir wichtig mit vier Schauspieler:innen aus dem Berliner Ensemble zu arbeiten und explizit nicht mit iranischen Gastschauspieler:innen. Wieso war Dir das wichtig? 

 

In meinen Arbeiten spielt Diversität eine sehr große Rolle, auch die Erzählpositionen, also wer spricht hier eigentlich über wen, sind sehr wichtig. Für „Chronik der Revolution“ habe ich mich gefragt, was es eigentlich für die Thematik braucht und bin darauf gekommen, dass so etwas wie ein Überblick über das Ganze fehlt. Vor allem Menschen, die keine Iraner:innen sind, fehlen oft Basisinformationen zur iranischen Geschichte. Eine Theaterprobe ist für mich nicht einfach ein Prozess, an dessen Ende dann ein Produkt steht, sondern immer auch ein Lernprozess für alle Beteiligte. Bei den Proben meiner Arbeiten geht es lange darum, sich erst einmal inhaltlich und historisch mit dem Thema auseinanderzusetzen. Deswegen fand ich es so wichtig, mit Leuten zu Arbeiten, die zu der Thematik keinen biografischen Zugang haben. Das ist dann wie eine Art Übung – für das Ensemble, für mich als Regisseur, der biografisch viel tiefer in der Materie steckt, als auch später für das Publikum, was vielleicht über den Iran gar nicht so viel weiß. 

Ein anderer zentraler Aspekt ist, dass ich glaube, dass es für die jetzige Revolution in Iran sehr wichtig ist, nicht bloß als ein Kampf der Iraner:innen, sondern als ein globaler Kampf verstanden zu werden. Das iranische Regime zu stürzen, hätte nicht nur für die iranische Bevölkerung große Auswirkungen, sondern auf die gesamte Weltpolitik: von den Kriegen im Nahen Osten, das iranische Regime finanziert etwa die Hamas, hin zur wirtschaftlichen Situation in Europa, bis zum Ukraine-Krieg, da das iranische Regime ja einer der Hauptunterstützer Russlands ist. Diesen Zusammenhang gerade aus der Erzählpositionen von vier weißen Schauspieler:innen rüberzubringen, war ein Teil, wenn nicht sogar ein Ziel des Projekts. 

 

 

Wenn man sich mit der iranischen Geschichte beschäftigt, kann man den Eindruck einer Art immer wiederkehrenden Wiederholung des Vergeblichen bekommen: Trotz des unglaublichen Mutes der iranischen Gesellschaft, werden die Proteste durch das Regime immer wieder mit großer Brutalität niedergeschlagen. Unterscheidet sich die gegenwärtige Protestbewegung „Frau Leben Freiheit“ von den bisherigen Bewegungen?

 

Für „Frau Leben Freiheit“ hat die internationale Solidarität eine große Rolle gespielt. Wichtig zu verstehen ist, dass das Regime in seiner Antwort auf die jetzige Protestbewegung nicht grausamer geworden ist. Durch das Internet haben diesmal nur mehr Menschen weltweit von dieser Grausamkeit erfahren. Wenn das Regime jetzt jemanden auf der Straße erschießt, sehen wir noch am selben Abend das Video davon im Netz. Ein anderer Punkt ist, dass es sich bei dieser um eine Generation handelt – die Generation Z – die weltweit nicht ernst genommen wird. Das sehen wir etwa auch bei der globalen Klimabewegung. Doch diese Generation ist dabei, voller Mut die Welt zu verändern.

 

 

Was gibt Dir Hoffnung?  

 

Die junge Generation gibt mir Hoffnung. Diese Wut und der Mut dieser Generation. 

Das Gespräch führte Lukas Nowak.

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