Die Empörung von Biedermann über die Brandstifter, die seit einiger Zeit überall Feuer legen, ist groß – zumindest am Stammtisch in der Kneipe und auf Social Media. Kaum stehen sie jedoch vor seiner Haustür, werden sie höflich hereingebeten, obwohl sie keinen Hehl daraus machen, was sie vorhaben. Man hat ja Manieren. Ein Unmensch ist man auch nicht, schließlich sind es nur zwei harmlose Hausierer. Und falls nicht, macht man sie sich besser nicht zum Feind. Das möchte man sich dann doch nicht leisten, obwohl man sich sonst (fast) alles leisten kann. Geschrieben als politische Parabel zielt das Stück auf eine Geisteshaltung, die dem Zerstörerischen zum Erfolg verhilft. Wie kommt’s? Aus welchen Gründen, wozu und von wem werden Impulse von Einsicht einfach weggeschoben?
Regisseurin Fritzi Wartenberg, Jahrgang 1997, gesteht unumwunden, wie ertappt sie sich von Frischs Text fühlt, den er 1948 zuerst als burleske Prosaskizze notierte und später zum Theaterstück umarbeitete. Wartenberg ist Mitbegründerin des FTZN-Kollektivs und erhielt im Rahmen des Nachwuchsförderprogramms WORX am Berliner Ensemble den Helene Weigel Theaterpreis.
Bitte beachten Sie: In dieser Inszenierung kommen Stroboskop-Effekte zum Einsatz.
An allen Ecken und Enden brennt es in der Welt, in der Max Frisch seine ins Groteske überhöhte Parabel spielen lässt. Sie handelt von dem Ehepaar Biedermann, das sich mit zwei Brandstiftern gemein macht – obwohl oder gerade weil diese von Anfang an kein Geheimnis aus ihrem Vorhaben machen?
Das Zürcher Publikum der Uraufführung 1958 sah in Biedermann das treuherzige Opfer einer kommunistischen Machtübernahme. Entsetzt über diese einseitige Missdeutung, schrieb Frisch ein Nachspiel, in dem er Biedermanns Schauspiel, seine Doppelmoral sowie Täterschaft deutlicher vorführte und auf das Mitläufertum im Nationalsozialismus bezog. Das war ihm später jedoch zu konkret und weil es den deutungsoffenen, beispielhaften Charakter seiner Parabel aushebelte, strich er es wieder. Die Brandstifter, so Frisch, seien Biedermanns eigene Dämonen, letztlich nur dazu da, die Widersprüche von Biedermanns Lebens- und Wirtschaftsweise derart hervorzutreiben, bis er an ihnen zu Grunde geht. Und mit ihm alles und alle um ihn herum. Wobei – vielleicht nicht ganz. Bliebe noch die Frage zu klären, wer sich rettet und ob es danach anders oder genauso weiter geht.
Frischs Geschichte ist eine Parabel über Wandel, beziehungsweise über eine bestimmte Art und Weise mit Krisen umzugehen. Biedermann ist nicht naiv und weiß eigentlich genau, was an den Krisen hausgemacht ist. Es gibt auch keinen Grund, ihm nicht zu glauben, dass er gern ein guter Mensch wäre, wenn es ihm die Umstände nur erlauben würden. Doch sein Verhalten, sein Verharren beispielsweise in moralischen Plädoyers bei wachsender Deklassierung seines Angestellten mit dem sprechenden Namen Knechtling, führt letztlich nicht dazu, dass alles so bleibt, wie es im Übrigen nie war – vermeintlich gut –, sondern zu regressivem Wandel.
Als "Lehrstück ohne Lehre" bezeichnete Frisch sein Drama, und in der Tat lernt Biedermann scheinbar nichts dazu. Was zur Frage zurückführt, ob er es nicht kann, nicht will oder nur so tut, um von seinen inneren Brandstiftern abzulenken, deren Handeln er für die einzig richtige Antwort auf die Krisen hält – auch wenn oder gerade weil sie möglicherweise systemsprengend sind.
Von Sibylle Baschung
- Kathrin Wehlisch als Gottlieb Biedermann
- Pauline Knof als Babette Biedermann, ein Polizist
- Maximilian Diehle als Anna, ein Dienstmädchen
- Max Gindorff als Schmitz, ein Ringer
- Maeve Metelka als Eisenring, ein Kellner
- Fritzi Wartenberg Regie
- Jessica Rockstroh Bühne
- Esther von der Decken Kostüme
- David Rimsky-Korsakow Musik
- Steffen Heinke Licht
- Sibylle Baschung Dramaturgie