Katzelmacher

von Rainer Werner Fassbinder
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Das deutsche Wirtschaftswunder brauchte viele billige Arbeitskräfte aus dem Ausland. Abfällig wurden sie als "Gastarbeiter" bezeichnet. In Fassbinders "Katzelmacher" von 1968 hockt eine Clique von Deutschen beisammen und schlägt die Zeit tot. Als der Gastarbeiter Jorgos eintrifft, um der Kleinunternehmerin des Ortes billig und willig zu Diensten zu sein, laufen die Projektionen Amok. Der Neid auf die vermeintliche Potenz des Fremden stachelt die Männer zur Gewalt an, während die Frauen ihre Sehnsüchte daran entzünden. Es dauert nicht lange und die Gruppe beschließt: Der Fremde muss weg. Doch die Geschäfte laufen zu gut und die Unternehmerin holt einen weiteren Gastarbeiter. Dessen Ankündigung löst bei Jorgos eine überraschende Reaktion aus.

Michael Thalheimer setzt mit Katzelmacher seine Auseinandersetzung mit Mechanismen von Ausgrenzung und Gewalt fort.

Rainer Werner Fassbinders "Antiteater“ bestand nur zwei Jahre – von 1968 bis 1970. Doch in dieser Zeit entstanden vierzehn Inszenierungen, deren Texte meist von Fassbinder geschrieben wurden, und er drehte mit seinem Ensemble die ersten Filme. Katzelmacher wurde im April 1968 urauf geführt, 1969 verfilmt und 1970 bekam das Ensemble des Antiteater, das inzwischen durch Steuerschulden zur Schließung gezwungen worden war, das Filmband in Gold. Das Münchner Antiteater verstand sich als politisches Volkstheater und sah sich in der Tradition Bertolt Brechts und  Marieluise Fleißers, der das Stück auch gewidmet ist.
"Katzelmacher“ ist eine abfällige Bezeichnung für meistens italienische Gastarbeiter und geht auf die Kesselmacher zurück, die sich als arme Wanderarbeiter durch das Schnitzen von Holzlöffeln ernähren mussten. Am Beginn des Stücks Katzelmacher wartet eine Gruppe Dorfbewohner  gelangweilt am Bahnhof auf den Zug nach München. Im Dorf gibt es keine Kneipe, die Tanzmusik spielen würde, und auch die Arbeitsmöglichkeiten sind beschränkt. In der Langeweile wird alles zum Problem und zugleich führt nichts zu einer Veränderung. Keiner gönnt dem anderen etwas, Machtkämpfe und Demütigungen füllen die leere Zeit. Das Ereignis des Tages ist die Ankunft eines Fremden, der anfangs für einen Italiener gehalten wird, sich aber als "Gastarbeiter“ aus Griechenland herausstellt. Ab hier dreht sich die gesamte Aufmerksamkeit um den Fremden. Er wird zum Ziel erotischer wie feindseliger Projektionen. 
Fassbinder hat mit "Katzelmacher" ein einfaches wie zorniges Bild der westdeutschen Realität in der Provinz geschaffen. Die Eintönigkeit der Provinz provoziert unerfüllte Sehnsüchte nach einem aufregenden exotischen Leben, doch rückt der Fremde in den Dunstkreis des Wirtshauses, muss er bekämpft werden. Die Figur der Ingrid verkörpert die Träume in diesem unglücklichen Gefängnis, sie will Schlagersängerin werden. Doch nicht nur ihr Traum von der großen Karriere wird ausgenutzt, sondern die Schlager selbst, die sie unablässig singt, legen sich als kitschiger Gefühlsfilm auf die Tristesse. Sie wird nicht nur betrogen, sondern ihr Gesang betrügt sie selbst wie alle, die ihn hören. 
Die Gefühle von Sehnsucht und Liebe werden im Schlager zur Ware, die nicht nur mit Geld, sondern auch mit dem  Verlust des eigenen Empfindens bezahlt wird. Das Schlüsselloch ins Paradies, als dass die Minuten des Schwelgens im gemieteten Gefühl erscheinen, entpuppt sich als Schloss der Kerkerzelle, in der das eigene Leben umso entfremdeter feststeckt, je falscher es sich heraus träumt. Schlager hören und Ausländer verprügeln passen in der "Katzelmacher"-Welt  perfekt zusammen. Aus den kitschigen Gefühlslügen entsteht in letzter Konsequenz der Faschismus. 
Diese Dialektik war den Volkstheatermachern von 1968 sehr bewusst. Die allgemeine Entfremdung, in der die  „kleinen Leute“ feststecken und ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, gestattet auch jenseits der Arbeit kein geglücktes Leben mehr. Denn ebenso wie die Arbeit von Zwängen  dominiert wird, ist die freie Zeit von Leere ausgefüllt, die mit Gefühlsverstärkern verzweifelt gefüllt werden soll. Was  unter dem Begriff der Kulturindustrie zum Kern der 68er Kritik  gehörte, ist heute weitestgehend vergessen. Ob nicht eine Erinnerung an die Zusammenhänge von gefälschten Gefühlen und feind seliger Politik sinnvoll ist, ist die Frage, die "Katzelmacher" stellt.
von Bernd Stegemann

 

 

Pressestimmen

"Fassbinder und Thalheimer passen, wie dieser Abend zeigt, ganz hervorragend zusammen, in ihrer Formstrenge und weil sie die selbe künstlerische Sprache sprechen: eine extrem reduzierte."Berliner Morgenpost

"Die Körper erzählen fast viel mehr als die Texte und auch als die Sprache, das ist sehr sinnfällig und theatral umgesetzt. Man konzentriert sich hier auf die Fremdenfeindlichkeit, darauf wie sehr diese sozial motiviert ist -  von den Nachkriegsverhältnissen, die man diesen Körpern wirklich ansieht bei Fassbinder, und noch schöner bei Thalmeier, da ist die Inszenierung sehr gelungen."Deutschlandfunk Kultur

"Diesen aggressiven Widerspruch und seine politischen Folgen demaskiert Thalheimers überwältigende Inszenierung."Märkische Oderzeitung

"In seiner harten Abgrenzung von Rassismus - in seinem 'schlicht kein Verständnis mehr haben wollen' - ist das ein eindrücklicher Abend."RBB Kultur

"In ihrer Realität ist kein Platz für ihre Sehnsüchte. Dafür aber in der Welt des Schlagers. Immer wieder tritt Eva Meckbach als Ingrid ans Mikrofon am vorderen Bühnenrand und singt sich und alle anderen in einen zuckerigen Rausch. Der gesamte Abend ist davon durchzogen. Großartig ist das, weil die Tremolos und Gesten dabei so offensichtlich immer leicht verrutscht sind und überhaupt viel zu riesig, so dass die Leere, die sie verdecken sollen, gerade dadurch noch deutlicher zutage tritt."Berliner Morgenpost

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