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„Ich gucke Deutschland an und sehe nichts – nichts – man muss die Leute ficken oder verwandt mit ihnen sein, um etwas zu sehen – so sehe ich gar nichts – ich kann nicht mal einen Hund von einem Kinderwagen unterscheiden."
Drei mehr oder weniger deutsche Greifvögel treffen im insolventen "Adlerhorst", einer bierseligen Biker-Kneipe, aufeinander. Anastasios und Hagen, Betreiber und einziger Stammgast, wiederholen ihre allabendlichen Rituale, als ein namenloser Ausländer den Laden betritt. Er ist auf der Suche nach einer Immobilie für seine Leder-Fetischbar und glaubt, hier fündig geworden zu sein. Nach anfänglichem Fremdeln entsteht zwischen ihnen ein Dialog aus faschistischer Besessenheit, dem deutschen Grundgesetz und seinen katholischen Wurzeln sowie Rüstungsberichten der Bundeswehr, der in einer dystopischen Vision eines "Neuen Deutschlands" kulminiert, das vermutlich schon längst im Argen liegt. Erniedrigung und Erhebung des Einzelnen, Gewalt, die Suche nach menschlicher Nähe und Schutz, zuallerletzt aber die Frage nach dem Wesen der Menschenwürde werden bei diesem unfreiwilligen Leder-Stammtischs besprochen, durch den Raum gejagt und zerlegt.
Alireza Daryanavard ist ein iranischer Regisseur, Autor und Kurator und setzt sich mit Themen rund um Widerstand und Aktivismus auseinander.
Das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland manifestiert sich in Artikel 1 des Grundgesetzes mit dem wohlbekannten, zumindest aber wohlgemeinten Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Die Schönheit dieses Satzes liegt in seinem Anspruch und gleichzeitig in seiner Fragilität, denn wie selbstverständlich wird sie angetastet, jeden Tag. Jeden Tag wird in Deutschland Menschen das Menschsein abgesprochen. Artikel 1 jedoch gibt zumindest dem hehren Versprechen Raum, dass dies nicht juristisch und von Seiten des Staates geschehe. Immerhin, ein Versprechen.
Doch worüber reden wir, wenn wir „Würde“ sagen? Ist die Würde der einen wichtiger als die der anderen? Wer gilt uns als Mensch, dem diese zustehe? Denn die Abwägung zwischen Würde und Stolz der einen, die im Status quo ihre Erfüllung finden und in jedem Antasten der Verhältnisse sich selbst angetastet sehen; und denjenigen, die für ein würdevolles Leben eine Veränderung eben jener Verhältnisse bräuchten, ist eine politische. Die Würde also ist eine Frage der Politik. Das Verteidigen des Menschen als demjenigen, dem Würde gebührt – ebenso eine Frage der Politik. In einer Demokratie ist die Politik eine Frage der Menschen.
"Peitschenstück" von Damon Taleghani in der Inszenierung von Alireza Daryanavard geht den Fragen und den in Deutschland gelinde gesagt nicht immer eindeutigen Trennungen zwischen Ehre und Würde sowie zwischen humanistischen und monetären Interessen satirisch nach und untersucht assoziativ die Selbsterniedrigung, die darin liegt, uns selbst nicht die Würde zuzugestehen, die Würde anderer anzuerkennen.
von Johannes Nölting
- Derek Nowak
- Clara Devantié
- Shirin Eck
- Alireza Daryanavard Regie
- Katja Pech Bühne und Kostüme
- Mona Matbou Riahi Musik
- Leonard Nickel Licht
- Johannes Nölting Dramaturgie
- Kathinka Schroeder Dramaturgische Mitarbeit