"Peer, du lügst". Schon in diesem einfachen Satz zeigt sich der Kern des Peer-Gyntschen Kosmos: die verschwommene Grenze zwischen Sein und Schein. Denn der junge Peer, aufgewachsen in ländlicher Armut, erfindet sich auf der Suche nach sich selbst und seinem Platz in der Welt durch Geschichten, Lügen und Fabulierkunst immer wieder neu. Der "Faust des Nordens" ist ein satirisches, zügelloses, rätselhaftes, alle Grenzen sprengendes Werk. Henrik Ibsen erzählt die Odyssee eines ichbezogenen Geschichtenerzählers und Verantwortungsverweigerers, dessen Hochmut allen Wandlungen zum Trotz bestehen bleibt. Peer kann alles sein. Peer will alles sein. Peer ist Prototyp unserer Gesellschaft des Überflusses.
Lucia Wunsch begibt sich mit "Der Lügenprinz" auf eine Reise in das Innerste eines Lügners. Eine Suche nach Wahrhaftigkeit – und der Sinnhaftigkeit von Fantasie.
"Peer Gynt", 1867 von Henrik Ibsen im Exil verfasst und 1876 in Oslo uraufgeführt, nimmt eine Sonderstellung in der Literatur ein. Das dramatische Gedicht, inspiriert von Märchen, vermischt inhaltlich Mythologie, Psychologie und Realität und spielt auf formaler Ebene zwischen Drama und Poesie. Grenzen von Gattung und Erwartung werden gesprengt. Stückform und Hauptfigur sind widersprüchlich, vielschichtig, fragmentarisch und fantastisch. Als Genresprenger lässt sich beides nur schwer einordnen. Peer verweigert sich einer normierten Welt, versucht durch Lügen und Träume die Grenzen zwischen Realem und Surrealem zu verschieben: Peer Gynt als frühe Form des absurden Theaters.
"Der Lügenprinz" speist sich aus diesem Gynt’schen Universum. Die Chronologie der Erzählung wird aufgelöst und zur assoziativen Traumwelt. In Lucia Wunschs Adaption für WORX fungiert Peers Beziehung zu Solveig als Auslöser, um eine Fluchtbewegung zu erzählen. Solveig steht hier für eine bedingungslose Liebe, die fasziniert und ängstigt. Peer rennt vor ihr davon. Mit seiner Flucht begibt er sich auf eine Reise in sich und seine Fantasiewelt. Er begegnet im Labyrinth seiner Gedanken Trollen, die ihn vereinnahmen wollen, und dem "Knopfgießer", der sein Leben bewerten will. Sie alle sind Teil von Peer und seiner Suche im Kampf gegen die innere Zerrissenheit – zwischen Identität und Selbstfindung, Eskapismus und Realität, Egoismus und Verantwortung, Individuum und Gesellschaft.
von Daniel Grünauer
- Lucia Wunsch Regie
- Katja Pech Bühne
- Svenja Kosmalski Kostüme
- Bendrik Grossterlinden Musik & Sounddesign
- Robert Matysiak Licht
- Daniel Grünauer Dramaturgie