"Wie war er denn? Wo ist er zu finden in seinen Werken? Überall! In jeder Strophe, in jedem Satz“, schrieb Ruth Berlau 1958, zwei Jahre nach Bertolt Brechts Tod. Zur Frage, wie Künstler und Werk ineinandergreifen, stand Brecht selbst zwiespältig: Auf der einen Seite kennen wir ihn als Meister der Selbstinszenierung, der zerlumpte Kittel mit feinen Seidenhemden zum Künstler-Look kombinierte, bewusst ungewaschen eine olfaktorische Signatur kultivierte und selbst nach anderthalb Jahrzehnten unfreiwilliger Auslandsaufenthalte nie seine Augsburger Sprechmelodie ablegte. Er wusste um seine Wirkung und entwarf geschickt die Marke „Brecht“.
Auf der anderen Seite stand der unermüdliche Macher, dem es stets um die ‚dritte Sache‘ ging und der im Exil pragmatisch notierte: „daß diese aufzeichnungen so wenig privates enthalten, kommt nicht nur davon, daß ich selbst mich für privates nicht eben sehr interessiere (und kaum eine darstellungsart, die mich befriedigt, dafür zur verfügung habe) sondern hauptsächlich davon, daß ich von vornherein damit rechnete, meine aufzeichnungen über grenzen von nicht übersehbarer anzahl und qualität bringen zu müssen.“
© JR Berliner Ensemble
Durch sein an Erfolgen wie Entbehrungen reiches Leben führen in "Fremder als der Mond" mit Katharine Mehrling und Paul Herwig gleich zwei, wenn man so will, ‚Alter Egos‘ von Brecht. In einer fragmentarischen Collage aus Songs, Gedichten, autobiographischen Aufzeichnungen und Briefen, die sich eher nach Sinnzusammenhängen denn nach historischer Chronologie der Niederschrift strukturiert, zeigen sie uns B.B. in drei Lebensphasen:
Da ist zunächst – erster Akt – der junge Brecht in Augsburg, München und dem Berlin der Zwischenkriegsjahre. Von unbedingtem Schaffensdrang getrieben, sucht er als Dichter und Sänger seinen Platz. Das eigene radikal-nihilistische Weltbild muss zunächst in die Dramenfigur Baal ausgelagert werden, er selbst ist sich noch „zu weich“. Er verzeichnet erste Erfolge mit Stücken wie Trommeln in der Nacht und der Gedichtsammlung Hauspostille und wird schließlich mit der Dreigroschenoper über Nacht zum Star. Doch sein Ruhm wird bald von der Machtübernahme Hitlers überschattet. Einen Tag nach dem Reichstagsbrand verlässt Brecht Berlin.
Es beginnt – zweiter Akt – eine lange Zeit des Exils in Dänemark, Schweden, Finnland und schließlich Kalifornien. Die Verheerungen des Weltkrieges kommentiert er scharfzüngig aus der Distanz. In der Mitte seines Lebens ist er besonders produktiv, doch seine dramatischen Meistwerke wie "Leben des Galilei", "Mutter Courage", "Arturo Ui" oder "Der kaukasische Kreidekreis" entstehen allesamt zunächst für die Schublade. Es fehlt die Bühne, die sie spielt.
© Berliner Ensemble
Nach Kriegsende – dritter Akt – verlässt er die USA und kehrt 1948/49 nach einem Zwischenstopp in der Schweiz zurück ins nun geteilte Deutschland. Er lässt sich in Ostberlin und Buckow nieder und gründet mit Helene Weigel das Berliner Ensemble, das nach einer Zeit als ungeliebter Dauergast am Deutschen Theater 1954 ins Theater am Schiffbauerdamm einzieht. Jetzt könnte es nochmal richtig losgehen für den Theaterrevolutionär Brecht – doch da klopft auch schon der Tod an die Tür. Auf das Londoner Gastspiel der "Mutter Courage" kann er, der lebenslang Herzkranke, nicht mehr mitreisen.
Er stirbt mit nur 58 Jahren, und vielleicht doch versöhnt:
„Schon seit geraumer Zeit / Hatte ich keine Todesfurcht. Da ja nichts / Mir je fehlen kann, vorausgesetzt / Ich selber fehle. Jetzt / gelang es mir, mich zu freuen / Alles Amselgesanges nach mir auch“ notiert er im Mai 1956, nur drei Monate vor seinem Tod.
Jener Amselgesang – die von Adam Benzwi eigens für dieses Projekt arrangierten Songs des „Volkssängers im Zeitalter der Wolkenkratzer“ sind das verbindende Element des Abends. Sie erzählen Geschichten in sich und doch immer auch etwas über ihren Urheber.