Sie haben es ja selbst gesehen, meine Damen und Herren, gerade eben, als Matthias Brandt zum 68. Mal in dieses kleine Bühnengehäuse gestiegen ist, das in unserer Inszenierung die ganze Welt bedeutet, und sein großes Max-Frisch-Solo "Mein Name sei Gantenbein" gespielt hat – da könnten eigentlich auch Sie alle die Laudatio halten. Man könnte das alles auch ganz anders machen, natürlich. Besser als Matthias Brandt es gerade gemacht hat, kann man es – davon bin ich überzeugt – allerdings nicht.
Man könnte ergänzen: Und das, nachdem dieser Schauspieler 20 Jahre von der Theaterbühne entwöhnt war. Ja, sein Gantenbein war die erste Rolle auf der Bühne nach 20 Jahren Filmarbeit. Bloß klingt das, als müsste man diese enorme darstellerische Leistung irgendwie relativieren, und das muss man wahrlich nicht. Es war tatsächlich hoch gepokert, nach 20 Jahren Theaterabstinenz ausgerechnet mit einem Solo im Großen Haus auf einer Hauptstadtbühne ein Theater-Comeback zu feiern. Und noch dazu mit einem Stoff, der so gar keinen Halt bietet, keinen richtigen Plot, keine Geschichte mit Anfang Mitte und Ende, sondern nur lauter lose Enden hat – für die Zuschauer wie für den, der das spielen muss.
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Matthias Brandt, das kann ich auf Grund der Nahaufnahme unserer Zusammenarbeit sagen, hat gerade das gereizt. Man muss manchmal machen, wovor man Angst hat, sonst macht es doch alles keinen richtigen Spaß – so oder so ähnlich hast du das mal gesagt während der Arbeit, wenn auch ich gefragt habe, warum er sich das jetzt eigentlich antut. Warum aber der "Gantenbein"?
Ich selber habe Frisch schon als Schüler gelesen und seinen Ton sehr gemocht, ähnlich bei Matthias, der den Autor ob seiner großen sprachlichen Genauigkeit viel gelesen hat, mit dem "Gantenbein" aber lange nicht warm geworden war. Dass es ausgerechnet dieser Text war, den ich ihm im Lockdown vorgeschlagen habe, ursprünglich nur für eine Lesung, hat ihn vielleicht deswegen neugierig gemacht. Es war dann Liebe auf den zweiten Blick. Und ich weiß, dass Matthias auch nach über zwei Jahren noch mit Lust, mit Neugier, zur abendlichen Wiederbegegnung mit dieser Partitur einer Krise zu jeder Vorstellung ins BE kommt – mit der Offenheit von jemandem, der auf dem so gut bekannten Nachhauseweg immer irgendwo neue Details am Wegrand entdeckt, es wird bestimmt nicht langweilig! Und so hoffe ich stark auf die 100. Vorstellung…
Wäre es nicht eine Idee für Matthias Brandt gewesen, niemals wäre ich mit diesem Text ins Große Haus gegangen. Und, jetzt kann ich es ja sagen – wir, Schauspieler und Regisseur, haben mit diesen 40 Seiten, die Sie heute in 1 ¾ Stunden vorgespielt bekommen haben, dieser Lebensreise eines großen Zweifelnden, bis zum Vormittag des Premierentages, damals in grauer Vorzeit, gerungen. Wieviel Spiel und wieviel bloßes Erzählen, wieviel Musik, Licht, Theatermittel – und wieviel Purheit andererseits und reine Konzentration allein auf den einen Spielenden – was ist das richtige Maß, um mit Hilfe dieser brillant genauen, sich ständig relativierenden Sprache vom Frisch beim Zuschauer den Film der Lebensvarianten eines Sich-Verlierenden sich einstellen zu lassen?
Das waren die Herausforderungen, denen der einsame Schauspieler in seinem winzigen Gehäuse und vor dem Mülleimer seines Lebens sich zu stellen haben würden. Der Weg dahin führte bestimmt nicht durch Privates, aber doch durch viel Persönliches, einige Geschichten mit unseren jeweiligen Theatererlebnissen waren auch dabei. Wir machen es wie früher, war unser täglicher Witz. Schließlich ist das Frisch'sche "Ich stelle mir vor …" ja letztlich theaterhaft durch und durch.
Nun also ist es getan, wieder einmal, der Berg dieser Sich-Selbst-Vergewisserung auch heute Abend wieder über- und durchschritten, der Schauspieler reif für sein übliches alkoholfreies Bier nach getaner Arbeit – aber bevor du das bekommst, lieber Matthias, muss es doch einmal ausgesprochen werden: Die Art und Weise, wie du diesen Mann – sei er nun Enderlin, Svoboda oder, wenn's ihm hilft, auch Gantenbein – allabendlich spielst und zu hautnaher Realität verhilfst, ist großartig. Weil man in jedem Moment deiner Darstellung spürt, dass du es eben selbst jeden Abend wieder wissen willst. Wer bin ich eigentlich und hätte ich auch ein anderer sein können? Warum bin ich es nicht geworden, und welche Abzweigungen wären eigentlich noch möglich gewesen?
Ja, das ist schon, bis hoch in den zweiten Rang ablesbar, höchst persönliche, schauspielerische und sprachliche Meisterschaft, aber es ist eben auch die leidenschaftliche Auseinandersetzung eines, pardon, großen Künstlers mit der eigenen Existenz, gesehen durch die (Blinden-)Brille eines anderen. Sehr viel raffinierter geht es kaum. Und ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis, denn Matthias Brandt spricht ja nicht so viel über sich: Es macht ihm auch noch großen Spaß!
Und dass ausgerechnet sein Publikum, also Sie, und nicht irgendeine Jury ihm diesen Preis, den "Goldenen Vorhang", verleiht, ist der Beweis, dass alles, was diese schauspielerische Leistung ausmacht, sich auf jeden einzelnen Zuschauer überträgt.
Herzlichen Glückwunsch, Matthias Brandt und – Prost! Das hast du dir verdient.