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"Die Verantwortung, den Horror zu beenden, liegt bei uns allen"

Ein Gespräch mit dem Regisseur Heiki Riipinen und Schauspielerin Pauline Knof über Hedda Gabler, Konventionen und den Horror von Reproduktion. 

von Daniel Grünauer | 10.03.24

© Moritz Haase

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Hugo von Hofmannsthal schrieb über "Hedda Gabler", das Stück sei „voller fantastischer Schatten und schwarzer Seen, stiller Spiegel, in denen man sich selbst erkennt, gigantisch vergrößert und unheimlich schön verwandelt.“ Wer oder was ist Hedda Gabler für euch?

 

Pauline Knof: Hedda wurde in gewisser Weise im falschen Körper geboren. Nicht in einem queeren Sinne, aber sie wäre sicher ein perfekter Mann in einer männlichen Welt der damaligen Zeit gewesen. Hedda wurde wie ein Junge erzogen, dann aber auf die Rolle vorbereitet, ausschließlich Ehefrau und Mutter zu sein. Zwei „Berufe“, auf die sie sich niemals beworben hat und die sie nicht erfüllen. Das hinterlässt in ihr eine große innere Leere.

Heiki Riipinen: "Hedda Gabler" bedeutet für mich die Entdeckung der eigenen Verantwortung. Man kann Hedda Gabler aber auch als Tatort eines Verbrechens begreifen, der die Frage aufwirft, wer für dieses Verbrechen verantwortlich ist. Verantwortung meine ich in Bezug auf Handlungsmacht: Verantwortung haben bedeutet, die Macht haben zu handeln. Und das ist die Frage vor der Hedda steht. Worin liegt für sie die Chance, die Verantwortung für die Situation zurückzugewinnen? Eine Situation, in der sie auf einmal die Möglichkeit der Freiheit schmeckt.

Hedda steht am Ende ihrer Jugend. Sie ist 29 – 1890 ist das definitiv das Ende der Jugend. Und die biologische Uhr tickt in Bezug auf die ihr von der Gesellschaft auferlegte „große“ Aufgabe: Kinder zu bekommen. Sie kommt also nach Hause von der, so stelle ich es mir vor, langweiligsten Hochzeit der Welt mit dem langweiligsten Ehemann, den sie nur finden konnte. Und sie ist in diesem Haus, in dem sie niemals leben wollte. Das eigentlich nur das Resultat eines Witzes ist, den sie gemacht hat. Sie findet sich in einem von der Gesellschaft geschaffenen Gefängnis wieder. Wie kann sie auf diese Situation reagieren? Was kann sie tun?

 

 

Während der Proben zu Hedda hat der Ausdruck „Horror der Reproduktion“ eine wichtige Rolle gespielt. Was meint ihr damit genau?

 

Pauline Knof: Nun, das Offensichtlichste ist die Schwangerschaft. Hedda ist ungewollt schwanger. Man kann sagen: Der Drops ist gelutscht. Sie kann aus dieser Situation nicht mehr ausbrechen. Für uns hat Reproduktion aber auch aus einer theatralen Perspektive eine Rolle gespielt ...

Heiki Riipinen: Genau, denn Theater war schon immer ein Ort der Wiederholung und der Reproduktion. Wir „wieder“-holen und „re“-aktualisieren Klassiker. Aber wieso reproduzieren wir sie auf eine bestimmte Art und Weise und nicht anders? Für mich als queere Person ist hier die Frage, welche Geschlechterrollen und Vorstellungen von Sexualität wir fortschreiben. In "Hedda Gabler" sind diese Dinge zentral und diese Perspektive auf den Text zu werfen, ist deshalb so ergiebig, weil sie dem Text bereits immanent ist.

© Moritz Haase

Du, Heiki, arbeitest als Regisseur zum ersten Mal an einem klassischen Text. Wie seid ihr an diese Aufgabe herangegangen?

 

Heiki Riipinen: Zunächst war es schwierig, eine Übersetzung auszuwählen für mich, der kein Deutsch spricht. Ich wollte, dass sich die Sprache nicht anhört, als sei sie aus dem Hier und Heute, sie sollte sich nach Vergangenheit anfühlen. Auch, weil ich der Meinung bin, dass man etwas nicht unbedingt modernisieren muss, damit das Publikum die Relevanz versteht.

Ein Ausgangspunkt für Hedda war der Begriff der Verantwortung. Weil ich den Text vorgeschlagen habe, fühle ich mich in Bezug auf das Stück und den Umgang mit dem Thema des Todes verantwortlich. 

Übrigens: Das Stück hat mich während der Proben auch erstaunlich „straight“ gemacht und zwei Wochen vor der Premiere bin ich mir noch nicht sicher, was das für mein Leben bedeutet ... Mir ist etwa aufgefallen, wie ich beim Regieführen angefangen habe, bei meinen Schauspieler:innen alles „Weibliche“ zu „korrigieren“. Das geschieht mit mir nur durch die Auseinandersetzung mit dem Text. Auf einmal habe ich das Bedürfnis, die Idee der Stärke zu reproduzieren. Obwohl ich mich dazu entschieden habe, die Figuren teils genderqueer zu besetzen.

In der Inszenierung von Hedda ging es euch nicht um das Nacherzählen eines bereits vorhandenen Narrativs, das dann einfach in die Gegenwart übertragen wird …

 

Pauline Knof: Für mich würde so eine Übertragung auch nicht funktionieren. Würde Hedda heute leben – als Teil der Oberschicht, nicht heiraten und keine Kinder haben wollen –, hätte sie Möglichkeiten, ihr Leben selbst zu gestalten. Gleichzeitig sind wir noch immer nicht so frei, wie wir denken. In Berlin gibt es sehr unterschiedliche Lebensrealitäten, in denen das teils nach wie vor ein Problem ist. Ich kenne keine Frau, die die Fragen „Wann heiratest du?“ „Und was ist mit Kindern?“ nicht gestellt bekommt. Diese Übergriffigkeit ist ein Dauerthema in einer bestimmten Lebensphase.

Heiki Riipinen: Für mich ist Theater als ein Ort der Begegnung wichtig. Doch dann musste ich feststellen, dass mich das Stück in gewisser Weise übersieht, denn ich als ein schwuler Mann werde nie gefragt, wann ich Kinder bekomme oder wann ich heiraten werde. Ich denke, es ist wichtig, sich mit Dingen zu beschäftigen, die einen selbst nicht direkt betreffen. Und so versuchte ich, Hedda als eine in Heteronormativität und in „Straightness“ gefangene Figur zu inszenieren, während ich gleichzeitig eine queere Welt um sie erzählen wollte, zu der sie dazugehören könnte. Das ist gar nicht so einfach für mich mit meinem queeren Blick.

© Moritz Haase

Kann es einen Ausweg für Hedda geben?

 

Pauline Knof: Hedda spürt, dass sie für diese Welt nicht geschaffen ist, aber sie hat keine Idee, was sie tatsächlich unternehmen könnte, um sich zu befreien. Ihr fehlt der Lebensinhalt, echte Stärke und Mut. Nur in der Zerstörung fühlt sie sich lebendig. Das gesamte Stück über ist sie in ihrem verdammten Wohnzimmer – und am Ende sind zwei Leute tot.

Heiki Riipinen: Es gibt einen Ausweg, aber nicht für Hedda. Vielleicht gibt es ihn für uns als Gesellschaft, wenn wir aufhören, so besessen von einer bestimmten Idee von Freiheit zu sein und anfangen uns mehr Fragen zu unserer eigenen Verantwortung zu stellen. Ich bekomme nicht die Fragen gestellt, denen sich Hedda ausgesetzt sieht. Aber es ist meine Verantwortung, mich dafür zu engagieren, dass auch andere diese Fragen nicht mehr gestellt bekommen. 

Es sollte keine Rolle spielen, welcher Körper diesem Horror ausgesetzt ist und welcher nicht, denn die Verantwortung, den Horror zu beenden, liegt bei uns allen. Ich als Mann, völlig egal wie gay ich bin, habe viele Möglichkeiten aktiv zu werden. Als ein Mann, der ein Regisseur ist, der eine Stimme und eine Bühne hat. Das Theater ist eine großartige Arena dafür, denn das ist es, was wir letztendlich im Theater machen: Wir interessieren uns für Menschen, die nicht genauso sind wie wir.

 

 

Hedda wurde oft als „Femme fatal” bezeichnet: ein Motiv aus dem 19. Jahrhundert, verkörpert durch Figuren wie Lulu, Anna Karenina oder die Kameliendame ...

 

Pauline Knof: Diese Bezeichnung gibt ausschließlich den männlichen Blick wieder. Frauen würden niemals Fragen stellen wie: „Umgibt dich eigentlich eine Aura des Todes?“. Hedda ist auch deswegen keine Femme fatal, weil sie gar keinen Zugang zu ihrer Sexualität hat.

Heiki Riipinen: Ich glaube, dass wir uns oft die falschen Fragen zu "Hedda Gabler" stellen. Wir stellen immer die Frage: Warum bringt sich Hedda um? Wir sollten lieber fragen: Warum kann sie nicht leben – und wer trägt dafür die Verantwortung?

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