"Du brauchst als Mutter zuerst die Waschmaschine und dann die Therapie."
Was braucht es, um eine gute Mutter zu sein?
Jacinta Nandi: Ich habe eine Cousine, die ist jetzt reich. So reich, dass bei ihr selbst die Gästezimmer „ensuite bathrooms“ haben. Sie ist immer noch nett. Also ich denke, wir lassen sie leben nach der Revolution – wahrscheinlich. Jedenfalls war mein Sohn dort zu Besuch und hat geschwärmt, wie glücklich und ausgeglichen meine Cousine als Mutter sei. Aber ich sag dir was: Ich wäre auch sehr ausgeglichen, wenn bei mir jedes einzelne Schlafzimmer ein „ensuite bathroom“ hätte. Wir tun so, als ob Geld ein Detail wäre. Aber es ist die Hauptsache.
Wenn du nicht genug Geld hast, um die Waschmaschine zu reparieren, kannst du so viel meditieren, wie du willst. Aber du hast keine Waschmaschine. Du brauchst als Mutter zuerst die Waschmaschine und dann die Therapie. Wir reden hier nicht über Wohlstand. Ich finde, man braucht genug Geld für eine Sportaktivität für jedes Kind, für eine musische oder kreative Aktivität, genug Geld für eine Notfall-Waschmaschinen-Reparatur und für einmal im Jahr zehn Tage gemeinsamen Urlaub. Was braucht es sonst noch, um eine gute Mutter zu sein?
Als ich mit 20 Jahren nach Deutschland kam, hatte ich den Eindruck, die perfekte deutsche Mutter ist irgendwie kalt. Jetzt erlebe ich das ziemlich anders. Es wird zum Beispiel erwartet, dass die Mütter von Teenagern um 14.00 Uhr zu Hause sind. Selbst wenn du um 7.00 Uhr anfängst, weil du, sagen wir, im Gesundheitswesen arbeitest – wer ist denn um 14.00 Uhr zu Hause? Unsere Muttermythen basieren auf einer Lüge. Als mein Sohn in der achten Klasse war, rief mich die Schule besorgt an, weil ich mittags nie da sei, um meinem Sohn Mittagessen zu kochen. Und ich so: Spinne ich? Mein ganzes Leben lang habe ich gedacht, ich sei nicht deutsch genug, weil ich nicht genug arbeite, weil ich nicht genug verdiene, weil ich nicht genug Steuern zahle und weil ich kein Haus gekauft habe. Und jetzt soll ich unter der Woche mitten am Tag kochen? Es gibt diesen Traum von einer guten Mutter und dass das die Normalität wäre. Das hat aber mit der Realität nix zu tun.
© Matthias Horn
Was bedeutet es, in Deutschland alleinerziehende Mutter zu sein?
Ich bin 1980 in England geboren. Zu der Zeit waren Alleinerziehende in Großbritannien ein Feindbild – ähnlich wie Geflüchtete heutzutage. Später in Berlin erlebte ich, dass das auch anders sein kann. Friedrichshain 2004, das war Single-Mum-Heaven! Wir Alleinerziehenden lebten gemeinsam in WGs, wir nahmen uns gegenseitig die Kinder ab, man war nicht gemein zu mir im Jugendamt und die Mieten waren günstig! Und das machte alles aus. Man sagt ja: „Das ist die halbe Miete“. Ich zahlte ein Zehntel von dem, was ich heute bezahle! Das war das ehemalige Ostberlin im Jahr 2004.
Heute ist Deutschland konservativer, westdeutscher und teurer. Heute werden Alleinerziehende und ihre Kinder in Deutschland stark stigmatisiert und diskriminiert. Ich würde sogar behaupten, manche Leute denken, dass es besser für ein Kind sei, bei einem gewalttätigen Mann und seiner Mutter zu bleiben, als mit der Mutter wegzugehen. Das Bild, dass es schrecklich sei, Alleinerziehende zu sein, verstärkt die Abhängigkeit: Weil es dadurch keine Option zu sein scheint, den Mann zu verlassen. Frauen erdulden sehr viel schlimmes Verhalten.
Andererseits kann es auch Vorteile haben, wenn man bleibt. Der Mann zahlt vielleicht die Privatschule und die Wohnung, wo jedes Kind ein eigenes Zimmer hat. Das ist nicht oberflächlich, so zu entscheiden, wir möchten alle ein gutes Leben. Manche Frauen nehmen in Kauf, dass sie geschlagen oder vergewaltigt werden. Das ist ein Pakt mit dem Teufel, aber sicher nicht oberflächlich. Und wenn wir Solo-Mums sagen, es werde alles besser nach der Trennung, lügen wir auch. Es wird nicht immer nur besser, nachdem du einen gewalttätigen Mann verlassen hast. Du hast dann die Armut, die Stigmatisierung der Gesellschaft, die Kinder, die unter der Trennung leiden. Zu sagen, die Frauen müssten ja einfach nur weggehen, wenn es nicht mehr gut ist, wäre Täter-Opfer-Umkehr. Es ist leider nicht so einfach.
Was müsste passieren, damit sich an der Abhängigkeit von Frauen in solchen Beziehungen wirklich etwas ändert?
Ich finde Feminismus wichtig und auch, dass wir darüber sprechen und daran arbeiten, dass Männer miterziehen und mitarbeiten. Aber ich denke ehrlich gesagt, der größte Kampf ist der gegen die Armut und für eine andere Wohnungssituation. Ganz einfach deswegen: Wenn die Wohnungen billig oder zumindest bezahlbar sind, dann können die Frauen weggehen. Und wenn die Frauen weggehen können, wissen die Männer das. Ansonsten können wir reden und reden und Putzpläne machen und Aufgaben verteilen. Das ist alles egal, weil der Mann weiß: Du kannst nicht weg, weil du deine Miete allein nicht bezahlen kannst.
Ihr Buchtitel "50 ways to leave your husband" ist ein ziemlich starkes Plädoyer für Trennungen. Glauben Sie, die Kleinfamilie ist noch zu retten?
Mir ist es egal, ob andere Leute in Kleinfamilien leben. Ich glaube, manche von denen sind tatsächlich glücklich. Ich finde nur, wir sollten sie nicht als das „Normale“ ansehen. Viele Immigrant:innen in Neukölln zählen nicht mehr als Kleinfamilie, weil fast immer noch eine Tante dort wohnt oder eine Oma. Ich denke, sie sollten nicht als unnormal gelten. Egal ob in der Kleinfamilie oder anderen Familienmodellen – und das klingt jetzt wie ein Kalenderspruch, aber: Es geht den Kindern gut, wenn es der Mutter gut geht. Und wenn es der Mutter in der Kleinfamilie nicht gut geht, dann sollte sie es anders machen können, ohne es zu bereuen. Und das muss man stärker unterstützen, zum Beispiel steuerlich oder im Jobcenter – besonders jetzt, wo das Wohnen immer teurer wird. Wenn zwei alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern als WG zusammenziehen wollen, wird das kritisch befragt. Woher soll man wissen, dass diese Mütter nicht vielleicht doch ein lesbisches Paar sind – und den Alleinerziehenden-Bonus trotzdem abstauben? Ist das unser größtes Problem?! Die Leute sollen sich entspannen.
"Es geht den Kindern gut, wenn es der Mutter gut geht." Jacinta Nandi
Warum ist es eigentlich so schwierig, darüber mehr zu sprechen und etwas zu bewegen? Warum tauschen sich Mütter nicht mehr aus, solidarisieren sich, engagieren sich für die Gleichberechtigung – empowern sich dadurch, wie man sagt?
Ich glaube, dieses Wort Empowerment ist eine Lüge. Und ich glaube, was wir Frauen in Deutschland machen, ist: Wir „gaslighten“ uns selbst. Wir reden uns ein, dass wir gleichberechtigt sind. Und ich denke ehrlich gesagt: Manchmal muss man das auch. Wie soll das gehen, jeden Tag aufzustehen und zu denken: Ich habe keine Rente! Juhu! Naja, man muss auch durch den Tag kommen. Mein Kind war zwei, als ich mich vom Vater getrennt habe. Ich arbeitete freiberuflich und das Geld war knapp. Die Beratungsstellen haben mir gesagt, dass ich so schlecht verdiene. Mein Eindruck war, dass das an mir individuell liegt. Aber das wurde mir eingeredet.
Dass es System hat, haben sie mir nicht gesagt, das habe ich erst später gemerkt: Fast alle Frauen verdienen in den ersten drei Jahren nach der Trennung viel weniger als der Mann. Also ja, wenn wir nicht über Geld und Arbeit und Rente sprechen, ja, dann sind wir vielleicht fast gleichberechtigt. Manchmal sagen Freundinnen zu mir: Willst du nicht lieber eine feste Stelle in Vollzeit annehmen? Das finde ich lustig. Wenn du die gleichen Leute dann fragst: Könntest du am Donnerstag in zwei Wochen den Kleinen von der Kita abholen und zum Karate und dann nach Hause bringen und Essen machen, als Gefallen für mich, einmal im Jahr? Die brechen zusammen. Nein, das geht nicht!
Natürlich können wir Mütter das nicht: Wir können nicht in Vollzeit arbeiten und um 10.00 Uhr bei der Ergotherapie sein, rechtzeitig Mittagessen kochen und um 15.00 Uhr die Kinder von der Kita abholen. Wir können das nicht! Unser Tag hat auch nur 24 Stunden. Es gibt keine Zeitmaschinen. Es gibt keine Klonmaschinen.
Jacinta Nandi ist eine britische Autorin, Bloggerin und Kolumnistin. Sie lebt seit 2000 in Berlin und schreibt in deutscher und englischer Sprache. Von ihr erschienen u.a. "Die schlechteste Hausfrau der Welt" (2020) und "50 ways to leave your husband" (2022).